Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Diese Schlösser

VN / 08.03.2023 • 06:30 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Diese Schlösser an den Brücken, eng aneinander, gerade, dass die Brücken nicht unter dieser Last zusammenbrechen. Kein einziges hat mehr Platz. Eine Mauer aus Schlössern. Verliebte Paare, die sich der Ewigkeit verschrieben haben, naiv in ihrer Unschuld. Sie halten sich an den Händen, schwören sich ewige Treue, und zum Zeichen dafür, wählen sie ein Schloss, hängen es an das Geländer, sperren es zu, werfen den Schlüssel ins Wasser.

„Verliebte Paare, die sich der Ewigkeit verschrieben haben, naiv in ihrer Unschuld.“


Nie mehr darf das Schloss aufgehen. Nie mehr darf die Liebe unterbrochen werden. Was haben sich diese jungen Leute überlegt? Nichts. Beide haben sie noch keine fertige Ausbildung. Kennen sich in der Welt nicht aus. Er sagt, er wenigstens kenne sich in der Liebe aus. Er würde für sie sorgen, sie würden Kinder haben, schöne, kluge. Sie fragt, wirst du mich auf Händen tragen, und er zwinkert und sagt, wenn du nicht zu sehr an Gewicht zunimmst, immer. Sie waren verliebt in den Zustand des Verliebtseins. Ewig wollten sie zusammenbleiben. Nichts würde sie trennen. Und wenn doch. Wenn doch. Was passiert dann?
Das Mädchen, das noch keine Frau ist, trifft ihren Zweiten. Er sitzt auf einer Mauer und liest in einem Buch. Er ist nicht minder schön, nicht minder unübertrefflich, und jetzt will sie ihn, und der Erste ist vergessen.

Wie kann der Veruntreute das verkraften. Schließlich war sie es gewesen, die die Idee mit dem Schloss hatte. Er hatte das Schloss zugesperrt, sie hatten sich unter Küssen die Treue geschworen, bis zum Ende ihres Lebens und dann den Schlüssel auf den Grund des Flusses geworfen. Wie viele Schlüssel da liegen!
Kann das mit Jugendleichtsinn abgetan werden? Für sie ja, für ihn: nein.
Beim zweiten Mal will sie kein Schloss. Ein wenig klüger scheint sie.
Ihr Erster kann es nicht fassen. Er ist gekränkt in seiner Männlichkeit. Er kann mit diesem Treuebruch nicht leben. Schließlich waren sie einander versprochen. Unter einem Nachthimmel haben sie sich das Jawort gegeben. Niemals kann er das akzeptieren.

Er kauft sich eine Pistole. Passt sie ab. Verpasst sie. Passt sie ab. Passt sie ab. Wann endlich hat sie frei. Endlich erwischt er sie an ihrer Haustür. Sie hat ihren Zweiten an ihrer Seite. Er hat leider seine Waffe heute nicht dabei. Wehe dir. Du entkommst mir nicht, denkt er sich, und seine Attacken setzen sich fort. Er kann nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, sie geht nicht an ihr Handy, wirft seine teuren Rosen in den Straßengraben.

Dann endlich. Er sieht sie. Gerade sperrt sie ihr Fahrrad auf und fährt in eine Seitengasse. Jetzt. Er zückt sine Waffe und erschießt sie. Lässt sie liegen wie einen Fetzen.

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.

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