„Die Außenwelt wird maßlos überschätzt“

Kultur / 12.05.2023 • 14:05 Uhr / 1 Minuten Lesezeit
„Die Außenwelt wird maßlos überschätzt, kommen Sie ins Theater<span class="copyright">Stiplovsek Dietmar</span>" lädt Stephanie Gräwe in ihr Haus ein.
„Die Außenwelt wird maßlos überschätzt, kommen Sie ins TheaterStiplovsek Dietmar" lädt Stephanie Gräwe in ihr Haus ein.

Intendantin Stephanie Gräve stellt das Programm des Vorarlberger Landestheaters für die Saison 2023/24 vor.

Bregenz Beherzt, feinsinnig, sich den aktuellen, brennenden Themen stellend, so könnte man das neue Theaterprogramm für die Saison 2023/24 kurz zusammenfassen. Wenn jemand nach dem sprichwörtlichen roten Faden im Gesamtprogramm suchen möchte, dem sind hier einige Schlagwörter ans Herz gelegt: Empathie, Hoffnung, allen Widrigkeiten zum Trotz, bewundernswerte, starke Frauen, Doppelbödigkeiten.

Die Saison beginnt mit einem Text von Ayn Rand.   <span class="copyright">AP Photo</span>
Die Saison beginnt mit einem Text von Ayn Rand. AP Photo

Gestartet wird am 23. September mit „Atlas streikt“, ein genialer, mysteriöser Roman, eines der einflussreichsten politischen Bücher des 20. Jahrhunderts, zumindest in den USA. Die Autorin Ayn Rand nähert sich dem mythischen Atlas an, der das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt, irgendwann einmal, müde des Tragens, mit seinen Schultern zuckt und seine Last einfach abwirft, d. h. was passiert, wenn die tragenden Säulen (Menschen) dieser Welt plötzlich verschwinden würden? Wir alle taumeln dem Abgrund entgegen, wie „Fabian“, der Held des gleichnamigen Romans von Erich Kästner (ab 13. Oktober), der im Berlin der „roaring twenties“ versucht, in seiner Spur (als Moralist) zu bleiben.

"Fabian" von Erich Kästner feiert am 13. Oktober Premiere.  <span class="copyright">Georg Goebel</span>
"Fabian" von Erich Kästner feiert am 13. Oktober Premiere. Georg Goebel

Kästner warnte schon 1931 vor dem moralischen und politischen Verfall, also bereits zwei Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Im Juni 2021 brachte das Berliner Ensemble unter der Regie von Frank Castorf „Fabian“ auf die Bühne. Die beiden britischen Autorinnen Sarah Kane und Leonora Carrington steuern mit „Gier“ (ab 9. November) und „Das Fest des Lamms“ (ab 14. Februar 2024) mitten hinein in menschliche Abgründe. Wie sagte Kane einmal treffend: “They will love me for that which destroys me”, und in der Tat, Sarah Kane wurde keine 30 Jahre alt. Ihre Geschichten sind düster, schräg, nonkonform, aber voll von der unstillbaren Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit.

Stephanie Gräves Credo ist das Theater als Schule der Empathie.   <span class="copyright">Stiplovsek Dietmar</span>
Stephanie Gräves Credo ist das Theater als Schule der Empathie. Stiplovsek Dietmar

Die Künstlerin Bella Angora entwickelt zu Kanes poetisch-verrätseltem Stück eine performative Inszenierung. Gespannt sein darf man auf „Fest des Lamms“, ein Kabinettstück schwarzen Humors, entstanden 1940 und erst 1955 uraufgeführt, dem zu Grunde der Mythos von Phasiphae und dem Stier des Poseidon liegt, aus deren Liebesbeziehung der grausame Minotaurus hervorgegangen ist. Bei Carrington treibt ein werwolfartiges, Frauen betörendes Wesen sein Unwesen.

Olga Neuwirth: „Ich habe einen Stoff gesucht, bei dem man zwischen Lachen und Weinen schwankt“.<p class="caption"><span class="media-container dcx_media_rtab" data-dcx_media_config="{}" data-dcx_media_type="rtab"> </span><span class="marker"><span class="copyright">APA</span></span></p>
Olga Neuwirth: „Ich habe einen Stoff gesucht, bei dem man zwischen Lachen und Weinen schwankt“.

 APA

Splatter, Gothic, Surrealismus, „ich habe einen Stoff gesucht, bei dem man zwischen Lachen und Weinen schwankt“, sagt die Komponistin Olga Neuwirth, die daraus ihre Horroroper „Bählamms Fest“ (in der Bearbeitung von Elfriede Jelinek) gemacht hat. Mit Heinrich von Kleists „Amphitryon“ und der Frage nach „Was ist Wahrheit“, der Uraufführung „Maria Stromberger“, dem „Engel von Ausschwitz“, einem Auftragsstück der österreichischen Autorin Gerhild Steinbuch, die damit eine künstlerische Annäherung an diese mutige, bewundernswerte Frau unternimmt sowie „Die Schneekönigin“, ein Märchen von Hans Christian Andersen findet das Programm seinen Fortgang.

Martin Gruber erhielt 2016 einen “Nestroy” - Theaterpreisverleihung in Wien.   <span class="copyright">APA/HERBERT NEUBAUER</span>
Martin Gruber erhielt 2016 einen “Nestroy” - Theaterpreisverleihung in Wien. APA/HERBERT NEUBAUER

Eine Uraufführung in Kooperation mit dem aktionstheater ensemble unter der Regie von Martin Gruber, der deutschsprachigen Erstaufführung „The Bitch Boxer“, Shakespears „Hamlet“ und „The Perfect Moment“, eine Uraufführung mit Musik, runden die Spielzeit 2023/24 ab.

Kuges-Geschäftsführer Werner Döring.    <span class="copyright">Stiplovsek Dietmar</span>
Kuges-Geschäftsführer Werner Döring. Stiplovsek Dietmar

Mit einem Gesamtbudget von über fünf Millionen Euro, wovon der Bund rund 200.000 Euro und die Stadt Bregenz 61.000 Euro beisteuern, und einem Eigenerlös von rund 15 Prozent befindet sich das Vorarlberger Landestheater in guter Gesellschaft. Seit 2016 gab es keine Tariferhöhungen, die Kartenpreise werden nun moderat angehoben. Die Umsetzungsphase der technischen Sanierung sowie der Öffnung der Fassade zum Karl-Tizian-Platz (bereits 2022 beschlossen) ist für die Jahre 2025/26 angedacht. Einzigartig bleibt die FLAT 26 für alle unter 26 Jahren, für 26 Euro kann man so oft ins Theater gehen, wie man will. Das ist eine sehr großzügige Unterstützung für alle jungen Theaterinteressierten. „Wer will, dass die Welt bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt“, sagte der österreichische Dichter und Essayist Erich Fried, der prophetisch voraussah. Stephanie Gräve gehört nicht zu denen, die wollen, dass die Welt so bleibt, wie sie ist. Ihr Credo: Theater als Schule der Empathie!

Thomas Schiretz

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