Noblesse oblige – Adel verpflichtet

Zoë Claire Miller zeigt ihre neuesten Arbeiten im Künstlerhaus Bregenz.
Bregenz Miller erhielt 2022 den renommierten Will-Grohmann-Preis der Berliner Akademie der Künste aus mehreren Gründen, u. a. da „sie im Einbezug von Tieren und Pflanzen eine Verwilderung von Werk und künstlerischer Arbeit betreibt … ihre künstlerische Formfindung und dem daraus resultierenden Skulpturbegriff … Millers Arbeiten haben nicht nur viele Köpfe und Augen, sie sprechen auch mit vielen Zungen und damit den Begriff der sozialen Plastik für heutige Organisationsformen unter den Bedingungen digitaler Vernetzung und Bildzirkulation aktualisiert.“

1984 in Boston geboren, ist Miller Mitbegründerin des 2013 ins Leben gerufenen alternativen Berlin Art Prize und seit 2018 Sprecherin im Vorstand des bbk Berlin (berufsverband bildender künstler*innen Berlin).

Miller hat ihre Ausstellung im Künstlerhaus eigens auf die Geschichte des Hauses bzw. dessen Gartengestaltung und auf einen der einstigen Bewohner, Gustav Prinz von Thurn und Taxis und den Insignien der Macht (Krone, Orden, Schwerter, Zepter) zugeschnitten. Im Fokus der Ausstellung Millers stehen hierarchische Ordnungssysteme, Stammbäume (sowohl den Adel als auch die Natur betreffend). Im Eingangsbereich verhängt ein Chiffonvorhang den Zutritt des gartenseitig gelegenen Ausstellungsraumes, der digital mit den Wappen (Posthorn, Dachs) der Thurn und Taxis bedruckt ist; dahinter befinden sich, ausgeführt in glasiertem Porzellan und Steingut, ein Turm (in Turm und Privilegien gefangene Prinzessin), ein Posthorn (die Thurn und Taxis begründeten das europäische Postwesen) sowie der Orden der PERFEKTEN Freundschaft. Stammbaumbrunnen aus Plexiglas, mit farbenfrohen LEDs und Ultraschalldiffusoren versehen, verwandeln das Untergeschoss in ein veritables 1970er-Jahre-Discofeeling-Gewölbe mit Geruch. Miller verwendet für die Miniatur-Springbrunnen ätherische Öle von diversen Bäumen, die auch im Thurn & Taxis Park stehen.

Im ersten Obergeschoss eine Seinskette, auf dem einen Chiffonvorhang ist der Stammbaum des Menschen nach Ernst Haeckel (1874) zu sehen, an deren Spitze der Mensch, und auf dem anderen die Darstellung einer Scala Naturae, an deren Spitze Gottvater/Gott Sohn/Heiliger Geist und darunter die göttlichen Wesen, die Menschen, die Tiere und Pflanzen und zuunterst die Hölle, dargestellt ist. Eine Augenweide ist der „Depression Garden – Poor man’s flowers“: Lasergeschnittene Bäume in Bonsaigröße, in putzigen, glasierten Steingutschalen, werden langsam von Kristallen überzogen. All diese Seinsketten sowie Stammbäume haben ihren Ursprung in der Wurzel Jesse oder auch Jessebaum, dem Stammbaum Jesu, benannt nach dem Vater von König David, Isai/Jesse.

Miller versteht es mit einfachen Mitteln uns eine Welt vor Augen zu führen, die schon lange sich selbst und das Herrschaftssystem der Altvorderen überholt hat. Gewitzt und mit Tiefgang und ohne erhobenem Zeigefinger zeigt sie Systeme auf, die fröhliche Urstände feiern, wie uns jüngst der Hype um die Krönung von König Charles zeigt. Während wir uns vom schnöden Glamour und der vorgegaukelten Volksnähe so mancher Royals einlullen lassen, verfolgt Miller eine Strategie des Erweckens, Kopf auslüften und Ohren auf Durchzug schalten. Égalité!
Thomas Schiretz
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