Auf der Suche nach oppositionellen Strategien

Angekündigte Blockade der SPÖ für Verfassungsgesetze zwar ungewöhnlich, im Parlamentarismus aber eine legitime “Druckausübung”.
Wien Um Verfassungsrecht zu ändern, muss mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein, zwei Drittel von ihnen müssen zustimmen. Und das ist im Nationalrat in den vergangenen zehn Jahren – seit der Wahl im Herbst 2013 – exakt 80 mal passiert. Das zeigt eine Auflistung der Parlamentsdirektion für die VN. Und in nur drei Fällen hat die SPÖ nicht mitgestimmt: Bei der Schuldenbremse und bei einem Gesetz über Förderungen für Biomassekraftwerke – beides wurde später vom Bundesrat blockiert – sowie bei der Deckelung von besonders hohen Sonderpensionen von Landesbeamten im vergangenen Herbst.
Es ist also durchaus ein Paradigmenwechsel, wenn die SPÖ ihre Ankündigung tatsächlich wahr macht: Klubobfraustellvertreter Jörg Leichtfried kündigte bei der Sondersitzung am Freitag an, bei gar keinem Gesetzesvorschlag der Regierungsparteien mehr zuzustimmen, solange diese angesichts der Teuerung nicht in den Markt eingreifen und mehr preissenkende Maßnahmen durchführen. Empört reagierten die Klubobleute August Wöginger (ÖVP) und Sigrid Maurer (Grüne), die Sozialdemokratie würde damit etwa essenzielle Umweltschutzmaßnahmen verunmöglichen.
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“Größtmögliche politische Druckausübung”
Doch ist es überhaupt Aufgabe der Oppositionsparteien, Verfassungsmehrheiten zu ermöglichen? Nicht generell, sagt Politologe Peter Filzmaier im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten: “Es wäre eine Ablehnung des Parlamentarismus, wenn eine Partei grundsätzlich für alle Zeiten beschließt, immer gegen Regierungsvorlagen zu stimmen, solange sie in Opposition ist. Das wäre eine demokratiepolitische Fehlleitung.”
Das sei jetzt bei der SPÖ aber gerade nicht der Fall, hierbei handle es sich eher um den politischen Alltag: “Es ist die größtmögliche politische Druckausübung. Das kann ich schlecht finden, es ist inhaltlich kontraproduktiv, es verlangt letztlich einen ‘Kuhhandel’, aber das ist die Realität”, sagt Filzmaier. Denn solch einen “Kuhhandel” – den Abtausch bei der Zustimmung zu Gesetzesvorhaben ohne inhaltlichen Zusammenhang – gäbe es auch innerhalb der Regierung regelmäßig.

Von der Kosten-Nutzen-Rechnung
Viel mehr stelle sich die Frage, so Peter Filzmaier, wem dieses Vorgehen etwas nützt. Dass die Regierung dem Druck der SPÖ nachgibt, erwartet er sich nicht, vor allem weil die angesprochenen Gesetzesinitiativen – das Erneuerbare-Wärme-Gesetz und ein womöglich bald vorliegendes Informationsfreiheitsgesetz – eher Herzensanliegen des kleineren Koalitionspartners, der Grünen, seien. Und genau da setze eher die Strategie der Sozialdemokraten an: “Bei der letzten Nationalratswahl sind rund 200.000 Wählerinnen und Wähler von der SPÖ zu den Grünen gewechselt. Die zurückzuholen, ist offenbar das Ziel: Man will den Grünen keine Leistungsbilanz ermöglichen.”
Und wie verhält sich die FPÖ im Parlament? Bei ihr habe sich der Status einer sogenannten “Fundamentalopposition” viel mehr herausgebildet, sagt Peter Filzmaier mit einem Blick auf deren Abstimmungsverhalten der letzten Jahre. Und das zeigt auch der Blick in die Aufstellung der Parlamentsdirektion: Die Freiheitlichen waren seit 2013 – abgesehen von den eineinhalb Jahren in Regierungsverantwortung – nur bei sechs Beschlüssen alleinige Beschaffer einer Verfassungsmehrheit. Bei 32 von 71 Verfassungsänderungen in Oppositionszeiten stimmte die FPÖ nicht zu. Die Frage sei jedoch, so Filzmaier, ob sich die SPÖ wirklich mit den Freiheitlichen vergleichen oder gar gleichsetzen wolle. Aber das ist eine andere strategische Frage.

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