Ein Leben gegen Widerstände

Der ehemalige Zollamtsleiter Adi Jörg ist kürzlich dem Tod nur ganz knapp entronnen.
KENNELBACH Es kommt nicht mehr so oft vor, dass Adi Jörg Gesellschaft hat. Der 88-jährige Witwer, der laut Geburtsurkunde Adalbert heißt, den aber niemand so nennt, wohnt seit Jahren allein in dem Reihenhaus an der Langenerstraße in Kennelbach. Seine Kinder leben in der Schweiz. Die meisten seiner Freunde leben nicht mehr.

An diesem trüben, kühlen Maitag ist hingegen einiges los bei ihm. Zuerst kommt die Schwester vom Krankenpflegeverein, kurze Zeit später klingelt ein Nachbar, zwischendurch ruft ihn sein Sohn an. Schließlich lässt sich Adi Jörg behutsam auf die Eckbank gleiten. Behutsam wegen der Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs und einer weiteren Erkrankung, die ihn beinahe das Leben gekostet hat. Dennoch ist er heute bereit, in seine Vergangenheit einzutauchen. Zuvor stellt er jedoch klar: „Ich habe mir alles aus eigener Kraft erarbeitet und nie Hilfe von öffentlicher Seite bekommen.“ Darauf ist er stolz.

Dubiose Umstände
Als sich Adi Jörg am 25. Dezember 1934 auf den Weg ins Leben macht, residieren seine Eltern in einer Dienstwohnung im Gebäude der Landesfeuerversicherung in Bregenz. Der Vater – er ist dort Hausmeister – kommt 1940 unter dubiosen Umständen ums Leben. Adi Jörg zufolge ist sein Vater ein Euthanasie-Opfer der Nazis, „denn er verhielt sich nicht regimegetreu“. Von der Mama, die 1962 an Krebs stirbt, schwärmt er: „Sie hat uns Herzensbildung mitgegeben. Sie war immer ein Vorbild.“

Adi Jörg wächst als Sandwichkind zwischen der drei Jahre älteren Schwester Angela und dem fünf Jahre jüngeren Bruder Edi auf. Die Volksschule besucht er während des Krieges. Im Herbst 1945 – der Krieg ist bereits vorbei – wechselt er ins Gymnasium. Nach der 5. Klasse gibt er auf und startet seine Berufslaufbahn als Zollwachbeamter in Wolfurt. Nachdem er die Matura nachgeholt hat, übernimmt er die Leitung der Güterabfertigungsstelle. Drei Monate später steigt er zum Leiter des Zollamts Wolfurt auf. 1994 geht er, 60-jährig, in Pension. „Ich habe meine zweite Frau Elfriede daheim gepflegt“, begründet er die frühe Pensionierung. „Bis sie in meinen Armen starb.“

Seine erste Ehefrau Lieselotte heiratet er 1962. Mit ihr hat er zwei Kinder: Sohn Michael und Tochter Birgit. „Wir hatten eine wunderbare Ehe“, sagt Adi Jörg. Dann die Diagnose Krebs im Endstadium und der rasche Tod. Ein harter Schlag für den Vater von zwei Kindern, der nun Alleinerzieher ist. Erst kurz zuvor ist die Familie in das Reihenhaus in Kennelbach eingezogen.
Mit seiner zweiten Ehefrau Elfriede lebt Adi Jörg vier Jahre zusammen, bis auch sie einer Krebserkrankung erliegt. Von da an ist der zweifache Witwer allein geblieben.
Beinahe gestorben
Letztes Jahr verbringt Adi Jörg, der inzwischen Großvater von vier Enkeln geworden ist, die Osterfeiertage bei seinem Sohn in der Schweiz. Am Ostersonntag stürzt er und erleidet einen Oberschenkelhalsbruch. Es folgen Operation und Rehaklinik-Aufenthalt.
Ich habe mir alles aus eigener Kraft erarbeitet, und darauf bin ich stolz.
Adi Jörg, ehemaliger Zollamtsleiter
Kaum erholt, muss Adi Jörg erneut in Spitalsbehandlung. „Diesmal hatte ich innere Blutungen und wäre beinahe gestorben“, macht er deutlich. Passiert ist es vor etwa einem Monat in seinem Haus. Er steht in der Früh auf, kippt gleich wieder ins Bett zurück. „Ich zitterte, hatte Schweißausbrüche, sah verschwommen. Und da war eine Menge Blut an mir und auf dem Schlafzimmerboden“, erinnert er sich. Er versucht nochmals aufzustehen. Doch seine Kräfte verlassen ihn. Irgendwie gelangt er an sein Telefon und schafft es, die 144 zu wählen. Innerhalb von zehn Minuten sind Rettung und Notarzt da. Adi Jörg wird ins Krankenhaus Bregenz transportiert, bekommt Blutkonserven – er hat zweieinhalb Liter Blut verloren – und wird später im Krankenhaus Feldkirch operiert. Rückblickend konstatiert Adi Jörg: „Da bin ich dem Tod von der Schaufel gehüpft.“

Mittlerweile hat sich der Alltag des Seniors wieder eingependelt. Kochen, Wäsche waschen, bügeln, Blumenpflege – er schupft seinen Haushalt noch selber. Trotz der Dauerschmerzen, die mit Medikamenten lediglich gelindert werden. So hat er nur einen Wunsch: „Keine Schmerzen mehr.“ Manchmal kriecht das Gefühl der Einsamkeit in ihm hoch. „Dagegen hilft arbeiten“, meint er. Viel zu selten nimmt der musische Pensionist die Geige in die Hand, um die Einsamkeit zu vertreiben. Aber bei der Jasser-Runde ist er noch dabei, wenn auch nicht mehr so aktiv wie früher.

Einmal in ein Pflegeheim zu übersiedeln, kommt für ihn nicht infrage: „Hier ist mein Zuhause. Hier bleibe ich, bis sterbe.“ Wann immer das sein wird.
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