Wie eine Fahnenflucht “am Rohr” bei Lustenau 1944 scheiterte

Der Lustenauer Josef Hagen starb, seine Angehörigen wurden verurteilt.
Lustenau Im nächsten Teil der gemeinsamen Serie der VN-Heimat und des Jüdischen Museums Hohenems steht der letztlich missglückte Fluchtversuch des Lustenauers Josef Hagen im Fokus. An ihn wird bereits seit einigen Jahren erinnert, seit Juli 2022 auch im Rahmen des Projekts www.ueber-die-grenze.at, in dem ihm eine von 52 Geschichten gewidmet ist. Entlang des Radwegs Nr. 1, vom Bodensee bis ins Montafon, wurden im Zuge dessen nahe der Originalschauplätze symbolische Grenzsteine errichtet, an denen via QR-Code auf die verschiedenen Hörspiele zugegriffen werden kann.

Josef Hagen kam am 11. März 1919 zur Welt und stand dementsprechend beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gerade erst im 21. Lebensjahr. Bevor er als Soldat einrücken musste, war der ledige Lustenauer als Textil- beziehungsweise Stickereiarbeiter tätig. Schon im Februar 1942 kam er zum ersten Mal wegen „unerlaubter Entfernung“ mit dem damals gültigen Militärstrafgesetzbuch in Berührung, auf dessen Grundlage er zu fünf Monaten Haft verurteilt wurde.
Zwei Jahre später, im Mai 1944, befand sich der Obergefreite Josef Hagen auf Heimaturlaub in Lustenau, wo er sich seiner Mutter Regina und deren Bruder Hermann Hofer anvertraute. Denn an eine Rückkehr in den Krieg, in dem zur selben Zeit gerade sein Bruder Robert als Soldat vermisst gemeldet wurde, dachte er nicht. Viel eher wollte er sich in die Schweiz absetzen, wie in dem von Hanno Platzgummer verfassten Beitrag zu Josef Hagen im 2011 erschienen Werk „Ich kann einem Staat nicht dienen, der schuldig ist …“ nachzulesen ist.
Ein „gewiefter Schmuggler“
Und so bemühten sich Hagens Mutter und Onkel, nachdem sie ihn nicht umzustimmen vermochten, nun darum den Kontakt zu Johann König herzustellen. König, der dem 25-jährigen Deserteur helfen sollte, eilte „als gewieftem Schmuggler“ der Ruf voraus, Wege in die Schweiz zu kennen.
Mit dem vor einhundert Jahren erfolgten Rheindurchstich bei Diepoldsau, wodurch sich der Grenzfluss des nun „Alten“ Rheins deutlich veränderte, entstand durch die Fassung der Diepoldsauer Gewässer das sogenannte „Rohr“. Dort, wo von nun an auch überschüssiges Wasser aus dem Alten Rhein durch einen Schacht in den Neunerkanal übergleitet wurde, bot sich zunächst noch ein Fluchtweg in die Schweiz, der über den Röhrenkanal führte. Schon bald wurde deshalb ein Absperrgitter errichtet und der Grenzübergang zudem scharf bewacht.
Als Johann König dem fahnenflüchtigen Josef Hagen den Weg wies, blieb daher nur mehr der Weg durch die Röhre. Die beiden wurden aber vom Hilfszoll-Betriebsassistenten Willibald Hofer beobachtet, der, nachdem Hagen in das Rohr gestiegen war, neun Schüsse in die Kanalöffnung feuerte. Hagen erreichte zwar noch schwer verletzt Schweizer Boden, verstarb aber noch am selben Tag im Krankenhaus in Altstätten.

Für Hagens Mutter, seinen Onkel sowie den Helfer König hatte der unglückliche Fluchtversuch bald noch ein gerichtliches Nachspiel. Am 10. Oktober 1944 wurden alle drei vom Landesgericht Feldkirch für schuldig befunden und zu verschieden langen Haftstrafen verurteilt. Nach einer zunächst erfolgten Aufhebung durch das Oberlandesgericht Innsbruck wurden manche Urteile einen Monat später sogar noch verschärft. Regina Hagens Haftstrafe wurde von vier auf sechs Monate erhöht, wodurch nun das selbe Maß wie bei ihrem Bruder Hermann Hofer angewendet wurde. Johann Königs Strafe wurde hingegen von zunächst einem halben Jahr sogar auf 15 Monate KZ-Haft erweitert, die er bis zum Kriegsende verbüßen musste. RAE
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.