Cannes ganz ohne Palme
Heute wird im südfranzösischen Cannes, an der Cote d’Azur, die begehrteste Filmauszeichnung nach dem Oscar verliehen, die Goldene Palme. Für den Regisseur, der diese Palme erhält, ist ihr Wert unschätzbar, weil sie für die Zukunft alle Türen öffnet. Der reale Wert der aus 18-karätigem Gold gefertigten Palme liegt aber immerhin auch bei etwa 22.000 Euro. Jeder, der im Filmgeschäft etwas zu sagen hat oder gerne etwas zu sagen hätte, ist in Cannes dabei. Im eigentlichen Wettbewerb laufen gerade einmal 21 Filme, die eine Chance haben, den Preis zu gewinnen. Im Umfeld aber werden mehr oder weniger den ganzen Tag Filme gezeigt, in einem der vielen Nebenbewerbe oder auch außer Konkurrenz, denn nirgends ist die Möglichkeit, eine solche Öffentlichkeit zu erreichen, größer als in Cannes. Die größten Empfänge finden in den internationalen Hotels, vor allem im Carlton, statt, Zentrum des Festivals ist der Kongresspalast. Das große Gebäude wurde 1982 nach Plänen der Architekten Hubert Bennett aus London und Francois Druet aus Frankreich erbaut. Die Architektur macht allerdings nicht die Faszination des Gebäudes aus, denn wegen der Qualität des Zentrums, das nicht weniger als 35.000 Quadratmeter Veranstaltungsfläche bietet, müsste man sich nicht einmal umdrehen. Die Faszination bringt allein der rote Teppich, der über eine unmögliche Treppe mit 24 Stufen ins Innere führt, und über den die Weltstars zum Festival kommen.
Zu dieser Zeit sollte man allerdings nicht nach Cannes kommen, denn während der Filmfestspiele verdreifacht sich die Zahl der Einwohner fast. Etwa 70.000 Menschen leben während des Jahres in Cannes, zur Festivalzeit sind es aber rund 200.000, die die Stars zumindest von Weitem sehen wollen. Das hat seinen Preis: Die Hotels steigern ihre Raten in dieser Zeit um das Dreifache, ähnlich die Restaurants. Und nicht zuletzt sorgen Hunderte Kameras in der Innenstadt für die perfekte Überwachung – nirgends in Frankreich sind es mehr.
„Die Faszination bringt allein der rote Teppich, der über eine unmögliche Treppe mit 24 Stufen ins Innere führt, und über den die Weltstars zum Festival kommen.“
Das klingt alles nicht gerade einladend. Kommt man allerdings außerhalb der Festivalzeit, so zeigt sich Cannes von seiner schönsten Seite. Ein kleines, feines Zentrum mit zahllosen Lokalen nicht nur an der Croisette, also am Strand, sondern vor allem in den Sträßchen der Altstadt und Vorstadt, noblen und einfachen Geschäften, besten Konditoreien. Gegenüber, auf einer kleinen Insel, das auf das 5. Jahrhundert zurück reichende Zisterzienser-Kloster Lérins. Nicht zuletzt: Leicht erreichbar etwa das Keramiker-Dörfchen Vallauris mit dem wunderbaren Picassomuseum und der Kapelle mit dem legendären Gemälde von Pablo Picasso zu „Krieg und Frieden“, nicht weit entfernt Biot mit dem großartigen Museum zu Fernand Leger, auch in der Nähe: Nizza mit den Museen zu Henri Matisse oder Marc Chagall. Man hat zu tun in Cannes, auch wenn man keine Filme ansehen will.
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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