Behindertenanwältin: Der Föderalismus als strukturelles Problem

Die neue Behindertenanwältin ortet im Umgang mit Menschen mit Behinderung strukturelle Probleme in Österreich. Und da spiele auch der Föderalismus eine Rolle.
Wien Österreich ist in manchen Bereichen immer noch ein strukturell behindertenfeindliches Land. Zu diesem Schluss kommt zumindest Christine Steger, bisher Abteilungsleiterin für “Familiy, Gender, Disability & Diversity” an der Universität Salzburg und seit Mitte März Österreichs erste Behindertenanwältin, im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten. Die 43-Jährige spricht dabei etwa auf die Fiskalpolitik der letzten Jahre an, vor allem angesichts der vielen Mittel, die während der Pandemie in verschiedensten Bereichen aufgebracht wurden.
Laufende Bewertungen in Haushaltsverhandlungen
Bei Budgetverhandlungen würde nämlich etwa die ordnungsgemäße Ausstattung von Sonderschulen immer den Kürzeren ziehen. Es erfolge einfach eine Bewertung – bzw. in diesem Fall eher eine Abwertung – des Themas: “Dadurch wird klar, dass diesem Bereich nicht mehr Geld zur Verfügung gestellt werden will. Und dadurch kommt auch eine Behindertenfeindlichkeit zum Ausdruck, indem man sagt: ‘Für das wird eh schon so viel Geld ausgegeben'”, sagt Steger. Von dieser Prämisse sei bei den Corona-Hilfen – Stichwort “Koste es, was es wolle” – nie jemand ausgegangen.
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Auch deshalb ist Steger regelmäßige Rechtsprechung, vor allem was das Behindertengleichstellungsgesetz betrifft, so wichtig: “Ich bin ein Fan von Judikatur. Wir haben in Österreich zwar sehr viele Rechtsgrundlagen, die dann aber nicht durchgesetzt werden können oder nicht mit dementsprechenden Budgets ausgestattet werden.” Und davon könne man sich als verantwortliche Exekutive nicht entziehen: “Und gerade in einem Land mit föderaler Kompetenzverteilung ist das wichtig, weil dadurch klar wird, dass gewisse Regeln alle Bereiche gleichermaßen betreffen.”
Kompetenzzersplitterung dank Föderalismus
Das betrifft ein Thema, das bereits 2013 bei der UN-Staatenprüfung über die Einhaltung ihrer Behindertenrechtskonvention bemängelt wurde: Das Komitee zeigte sich “besorgt, dass Österreichs föderales Regierungssystem zu einer unangemessenen Zersplitterung der politischen Zuständigkeit geführt hat”. Steger drückt diesen Punkt noch deutlicher aus: “In den Ländern gibt es oft die Haltung, dass sie die Konvention nicht interessiert, weil das hat ja der Bund unterschrieben und was interessiert die Länder das? Das ist doch völlig absurd, wir sind so groß wie Bayern.”

Diskriminiert der Föderalismus also, Frau Steger? “Natürlich!” Der Föderalismus habe zwar kein Interesse daran, die Diskriminierung voranzutreiben, “aber er hat auch keine Möglichkeit, sich selbst an der Nase zu nehmen”. Und durch die vorgeschriebene Einigkeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bei jeder gesetzlichen Änderung, die Mehrkosten erzeugt, würden viele notwendige Änderungen blockiert: “Oft liegt es gar nicht an den unwilligen Landespolitiker:innen, sondern daran, dass der Städtebund sagt, dass er etwas nicht macht und dass der Gemeindebund sagt, dass ihn etwas nicht interessiert – vor allem, wenn es um die Etablierung neuer Leistungen geht.”
“Durch das historische Erbe im Bereich Menschen mit Behinderungen erwächst eine besondere Verantwortung. Diese wird nicht wahrgenommen und das ist untragbar.”
Christine Steger, Behindertenanwältin
Historisches Erbe Österreichs
Und genau in diesen Bereichen zeige sich eben eine strukturelle Behindertenfeindlichkeit: “Das Wissen um die gemeinsame strukturelle Verantwortung ist noch nicht gesickert”, sagt Christine Steger, die auch stellvertretende Vorsitzende des KZ-Verbands ist: “Durch das historische Erbe im Bereich Menschen mit Behinderungen erwächst eine besondere Verantwortung. Diese wird nicht wahrgenommen und das ist untragbar.”