Die mit den Wölfen tanzt

Kultur / 29.05.2023 • 16:20 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
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Hélène Grimaud begeisterte das Publikum mit ihrem Talent. Matt Hennek

Die Pianistin Hélène Grimaud schenkte den Meisterkonzerten einen denkwürdigen Abend.

von Fritz Jurmann

Bregenz Das ist beim letzten Meisterkonzert der Saison am Samstag wieder einer jener raren Abende, bei denen nichts anderes geschieht, als dass jemand knappe zwei Stunden lang fast unbeweglich an einem Ungetüm von schwarzem Steinway auf der Bühne sitzt und – Klavier spielt. Freilich ist dieser „Jemand“ nicht irgendwer, sondern eine der allerersten Adressen der internationalen Pianisten-Szene: die Französin Hélène Grimaud. Und die Art, wie sie mit ihrem Programm zum wiederholten Male den voll besetzten Saal in ihren Bann schlägt, ist einzigartig.

Grimaud zelebriert, schlicht in schwarze Hose und weiße Bluse gekleidet. Da ist vor dem nackten, kahlen „Eisernen“ kein Platz für außermusikalischen Krimskrams wie langes Abendkleid oder Blumenschmuck, die nur vom Wesentlichen ablenken würden: der Musik. Saal und Bühne sind so stark abgedunkelt, dass man im mystischen Dunkel gerade noch die wichtigsten Umrisse erkennen, aber kein Programm mehr lesen kann. Das erinnert an jene Dämmerung, in der der Wolf gern seine Beute reißt, ein aktuelles Thema gerade bei uns. Grimaud ist vernarrt in diese scheuen Tiere und hat von ihnen manches angenommen, auch den schleichenden Gang, wenn sie sich auf der Bühne bewegt. Ihre Beute, das sind hier die Zuhörer, die sie im Flow ihres Spiels mitnimmt, bis sie immer stiller, konzentrierter werden, bevor der Applaus sie erlöst. 

Ein Mix aus Vielfalt

Ebenso schnörkellos klar und ganz ohne Umschweife entsteht auch Hélène Grimauds Programm. „Ich habe mich immer dafür interessiert, Werke so zusammenzustellen, wie man es nicht erwartet, weil ich das Gefühl habe, dass Stücke ein besonderes Licht aufeinander werfen“, meint sie selber in entwaffnender Offenheit. So nimmt Bettina Barnay-Walser in der Einführung die Besucher an der Hand, erläutert ihnen klug, dass in diesem Programm der drei großen Bs aus Beethoven, Brahms und Bach Letzterer der Zentral- und Angelpunkt ist, weil sich die beiden Nachfahren in ihren Werken jeweils auf ihn beziehen. So einfach ist das, wenn man’s weiß.

Beethovens Opus 109 aus seinen letzten drei Sonaten samt Bach-Zitat ist ein von Altersstarrsinn gezeichnetes, zerklüftetes Werk von dennoch genialem Zuschnitt, dem sie so etwas wie eine französische Note verleiht. In der Variationenreihe, die nicht von schlechten Eltern ist, zeigt Grimaud erstmals Ansätze ihrer fantastischen Technik. Bei Brahms‘ Intermezzi und Fantasien geht es mehr um farbenreiche, an Bach und Zukunft orientierte romantische Einfälle, deren Geheimnisse sie in klarer Linienführung, frischem Zugang und großräumiger Gestaltung freilegt.

Das Beste kommt zum Schluss, das Zentrum: Bachs Chaconne aus seiner zweiten Partita d-Moll für Violine solo, die Grimaud unmittelbar an den letzten Brahms anhängt. Für den Hörer ein Wunder, für viele Geiger dagegen ein Angststück, dessen unglaubliche Komplexität und Vertracktheit aber auch der Bearbeitung für Klavier durch Ferrucio Busoni erhalten geblieben sind. Von Angst ist bei Grimaud nichts zu spüren. Vielmehr stürzt sie sich geradezu lustvoll in dieses 15-minütige abgründige Szenario, greift für den notwendigen Klavierdonner erstmals auch zur Pranke und bringt das Stück hasardierend in einem wahren Klangrausch triumphal zu Ende, den der Flügel ebenso unbeschadet übersteht wie das Publikum. Des Jubels will kein Ende sein, die beiden Zugaben Rachmaninoff Etüde Tableaux Op. 33/2 und Silvestrov Bagetella Nr. 2 werden mit Standing Ovations belohnt.