Schulbesuch für Kinder mit Beeinträchtigung: Vom Bund und den Betrieben

Politik / 01.06.2023 • 17:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Schulbesuch für Kinder mit Beeinträchtigung: Vom Bund und den Betrieben
Auch wenn die Gesetzgebungskompetenz für die Schulen beim Bund und nicht bei den Ländern liegt, hatte Mandatar Gasser (l.) Fragen an Landesrätin Schöbi-Fink (r.). Parlamentsdirektion/Anna Rauchenberger, Klaus Hartinger, Dietmar Stiplovsek

Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben in Vorarlberg kein Problem, ein 11. und 12. Schuljahr zu absolvieren. Das passiert aber meist an Sonderschulen.

Bregenz, Wien Bis zu ihrem 18. Geburtstag müssen Jugendliche eine Ausbildung absolvieren, das ist seit 2017 Pflicht. Meist erfolgt das über einen Schulbesuch oder eine Lehre. Wollen aber Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach ihrem Pflichtschulabschluss weiter in die Schule gehen, sind sie auf die Zustimmung des Schulerhalters und die Bewilligung der Schulbehörde angewiesen. Aktuell beschäftigt sich eine parlamentarische Bürgerinitiative mit diesem Thema, sie fordert einen Rechtsanspruch auf das 11. und 12. Schuljahr. Und auch im Vorarlberger Landtag wurde das zum Thema, die Neos brachten eine Anfrage an Bildungslandesrätin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP) ein.

Großteil auch in der Sekundarstufe II in der Sonderschule

Aus der Beantwortung lässt sich nun schließen, dass in Vorarlberg in den vergangenen zehn Jahren keine Anträge auf ein 11. oder 12. Schuljahr abgelehnt wurden, aber: Von den Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die die Sonder- oder Mittelschule abschließen, besuchen im darauffolgenden Schuljahr – in der 9. Schulstufe zu Beginn der Sekundarstufe II – fast alle (weiterhin) die Sonderschule: 142 waren es 2019/20, 119 bzw. 112 in den Jahren danach. Im Vergleich besuchten zwischen September 2019 und Sommer 2021 immer weniger als fünf Jugendliche berufsbildende Schulen oder Berufsschulen. Nur vereinzelt – 2019/20 weniger als fünf, 2020/21 20 und 2021/2022 zehn – besuchten sie eine Polytechnische Schule.

„Die gute Nachricht ist, dass junge Menschen mit Beeinträchtigungen auch ein 11. und 12. Schuljahr absolvieren können. Entscheidend ist aber, in welchem Rahmen das passiert und wie sie auf ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben, auf das Berufsleben, vorbereitet werden. Da sehen wir auch in Vorarlberg massiven Aufholbedarf.“

Johannes Gasser, Landtagsabgeordneter (Neos)

In den vergangenen zehn Jahren waren immer an die bzw. etwas mehr als 100 Jugendliche in Ausbildungsstätten im Rahmen der Integrationshilfe – also etwa in einer Lehre oder einer Teilqualifikation – tätig, aber eben nicht direkt an den Berufsschulen. Das kritisiert der Anfragesteller, Johannes Gasser, gegenüber den VN: „Entscheidend ist, in welchem Rahmen ein 11. oder 12. Schuljahr passiert und wie junge Menschen mit Beeinträchtigung auf ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben – auf das Berufsleben – vorbereitet werden.“ Hier gebe es in Vorarlberg „massiven Aufholbedarf“, denn: „Aktuell bleiben diese Jugendlichen einfach länger in den Sonder- oder Mittelschulen.“

Landtagsabgeordneter Johannes Gasser hatte einige Fragen über den Schulbesuch von Kindern mit Beeinträchtigung … <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Landtagsabgeordneter Johannes Gasser hatte einige Fragen über den Schulbesuch von Kindern mit Beeinträchtigung … Klaus Hartinger

Raus aus Werkstätten als Ziel

Natürlich sei es auch in berufsbildenden Schulen eine Kapazitätsfrage, aber: „Die Zahlen sind erschreckend niedrig. Hier gilt es anzusetzen, denn die Absolvierung zusätzlicher Schuljahre ist kein reiner Selbstzweck, sondern die Basis für ein erfolgreiches Berufsleben.“ Würde das umgesetzt, so Gasser zu den VN, könnten mehr junge Menschen mit Förderbedarf „den Sprung in den regulären Arbeitsmarkt – vielleicht sogar als ausgebildete Fachkraft – schaffen.“ Damit würde verhindert, „dass sie ewig in Werkstätten nur mit Taschengeld oder bestenfalls als Hilfsarbeiter beschäftigt werden“. Dies kritisierte Behindertenanwältin Christine Steger zuletzt in den VN deutlich: Sie sieht zwischen Sonderschulsystem und immer wieder verweigertem 11. und 12. Schuljahr eine Art Teufelskreis.

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Das Büro von Schöbi-Fink verweist auf VN-Anfrage, wie bereits in der Anfragebeantwortung („Es fehlt ein schulisches Angebot für Jugendliche mit kognitiven Beeinträchtigungen auf der Sekunderstufe II“), auf die grundsätzliche Zuständigkeit des Bundes. Es hält aber fest, dass das Land Pflicht- und Berufsschulen die Stundenressourcen zur Verfügung stellen würde, die benötigt werden: „Auch wenn diese nicht vollständig vom Bund refundiert werden.“ Dass Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung gleichberechtigt am Unterricht teilnehmen können, werde außerdem durch die Barrierefreiheit an den Schulen und die Anpassung von Lehrmaterialien sichergestellt.

„Das Land Vorarlberg stellt allen Pflicht- und Berufsschulen Stundenressourcen zur Verfügung, welche die Schülerinnen und Schüler brauchen. Auch wenn diese nicht vollständig vom Bund refundiert werden. Über verschiedenste Institutionen werden schon jetzt spezialisierte Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Schüler:innen mit Beeinträchtigung gefördert und angeboten.“

Büro Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP)

Außerdem würden, so heißt es aus dem Büro der Landesstatthalterin weiter, bereits jetzt spezialisierte Beratungs- und Unterstützungsangebote existieren. Expertinnen und Experten an Schulen leisten etwa individuelle Unterstützung, „um den Übergang in die Berufsschule und den Umgang mit spezifischen Herausforderungen zu erleichtern“. Weil dies allein aber nicht die Anzahl an Jugendlichen mit Beeinträchtigung direkt an den Berufsschulen in die Höhe treibt, verweist die Bildungslandesrätin direkt an die Betriebe: „Die Wirtschaftskammer sensibilisiert darüber hinaus auch die Ausbildungsbetriebe und Arbeitgeber.“

… und Bildungslandesrätin Barbara Schöbi-Fink antwortete. <span class="copyright">Oliver Lerch</span>
… und Bildungslandesrätin Barbara Schöbi-Fink antwortete. Oliver Lerch