„Über die Grenze“: Der rätselhafte Tod des Gastwirts Tobias Feurstein 1944

Laut den Nazi-Behörden ertrank der Fluchthelfer im Rhein, doch es gibt Zweifel.
Götzis Im Fokus des nächsten Teils der gemeinsamen Serie der VN-Heimat und des Jüdischen Museums Hohenems steht das Leben und Wirken des Fluchthelfers Tobias Feurstein. Der 1893 in Egg-Großdorf geborene Sohn von Christina und Johann Georg Feurstein, flüchtete am 31. Mai 1944 vor seiner drohenden Verhaftung. Danach verliert sich seine Spur. Über sein Schicksal wird seit Juli 2022 auch im Rahmen des Projekts www.ueber-die-grenze.at berichtet. Entlang des Radwegs Nr. 1 wurden vom Bodensee bis ins Montafon nahe der Originalschauplätze symbolische Grenzsteine errichtet, an denen via QR-Code auf verschiedene Hörspiele zugegriffen werden kann.
Als junger Soldat überlebte Tobias Feurstein zwar einen Fronteinsatz, geriet jedoch am 1. Juli 1915 in russische Gefangenschaft. Nach einigen Stationen in Gefangenenlagern und einer überstandenen Lungenentzündung landete er schließlich in der Stadt Penza und arbeitete in der Küche. Dort erlebte er sowohl die Revolution als auch den Terror der Gegenrevolution und kehrte schließlich mit kommunistischem Enthusiasmus in seine Heimat zurück. Den politischen Kräften, die Österreich in den Krieg getrieben hatten, vertraute er hingegen nicht mehr.

1921 heiratete er die ebenfalls aus Egg stammende Alice Greber, mit der er gut fünf Jahre darauf den abgebrannten Gasthof „Zur Hohen Kugel“ in Götzis kaufte. Gemeinsam bauten sie die Brandruine wieder auf und richteten den Gastbetrieb neu ein. Feurstein war darüber hinaus auch als Dekorationsmaler tätig und führte mit seiner Frau eine bescheidene Landwirtschaft. Das Gasthaus erhielt im Zuge des Wiederaufbaus neben der Gartenwirtschaft auch eine Kegelbahn, wie Wolfgang Berchtold in seinem Beitrag im von Harald Walser herausgegebenen Buch „Die NS-Opfer der Kummenberg-Gemeinden“ zu berichten weiß.

Hilfe für Spanienkämpfer
Ab Oktober 1936 wurde Vorarlberg Schauplatz einer großen Anzahl von „illegalen“ Grenzüberschreitungen. Tausende Österreicher, Polen, Rumänen, Tschechen und Ungarn überquerten den Rhein, um durch die Schweiz und Frankreich nach Spanien zu gelangen und sich dort den internationalen Brigaden anzuschließen.
Dem Freiwilligenverband, der letztlich erfolglos versuchte, die Spanische Republik gegen die Putschisten des faschistischen Generals Franco zu verteidigen, schloss sich Feurstein zwar nicht an; er zählte aber, wie auch sein Sohn Armin, zu einem von rund 40 Helfern, die beim Grenzübertritt Unterstützung leisteten. Anfang 1938 wurden beide „wegen der unbefugten Werbung für die Kriegsdienste in Spanien auf kommunistischer Seite“ zu einer Arreststrafe verurteilt. Nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich und seiner Freilassung engagierte sich Feurstein weiter als „Menschenschmuggler“. Nun waren es Jüdinnen und Juden sowie politische Flüchtlinge, denen es den Weg über die Rheingrenze zu weisen galt.
Seine politische Einstellung blieb den nationalsozialistischen Machthabern nicht verborgen, und so waren er und seine Familie zunehmenden Repressalien ausgesetzt. Er selbst wurde beispielsweise im November 1942 für drei Wochen in Gestapo-Haft gehalten, und auch das zweite seiner drei Kinder, die Tochter Sinaida, wurde an ihrem Arbeitsplatz in der Firma Huber schikaniert. Feuersteins Beschwerde darüber brachte ihm letztlich nur selbst eine Anzeige ein.
Flucht auf dem Fahrrad
Am 31. Mai 1944, als er sich weigerte, auf den Gendarmerieposten Götzis zu kommen, verließ er zur Mittagszeit letztmals seinen Gasthof und ergriff auf dem Fahrrad die Flucht Richtung Schweiz. Noch am gleichen Tag erkundigten sich seine Töchter bei der Exekutive nach dem Verbleib ihres Vaters, woraufhin ihnen mitgeteilt wurde, dass dieser im Rhein ertrunken sei. Diese Geschichte sollte noch lange für Rätselraten sorgen, denn die Töchter wollen am Posten die Papiere und das Fahrrad ihres Vaters gesehen haben. Die Leiche Feursteins blieb hingegen verschwunden.

Erst am 28. Juni 1944 wurde der Familie ein hölzerner Sarg ins Haus getragen, mit der Behauptung, dass sich darin der in der Harder Bucht gefundene Leichnam befände. Ein Blick in den Sarg wurde den Angehörigen jedoch nicht gestattet, wofür ein zur Wache abgestellter Gestapobeamter Sorge trug. Als 18 Jahre nach Tobias Feuersteins Begräbnis am Götzner Friedhof auch seine Frau Alice beigesetzt werden sollte, wurde das Grab erstmals geöffnet. Knochen oder Leichenreste fand man darin keine. RAE