Und Mozart war doch ein Afrikaner

Voices und Bochabela Strings sorgten bei den Festspielen für eine faustdicke Überraschung.
BREGENZ. Auf diese Idee muss erst einmal jemand kommen. Wie wäre es, so die Überlegung, wenn man über Kontinente und Jahrhunderte hinweg der Trauer der Menschen beim Tod eines geliebten Mitmenschen einen gemeinsamen musikalischen Nenner gäbe, also zum Beispiel Mozarts Requiem als großes Erbe unserer abendländischen Kultur mit in ihrer sozialen und gesellschaftlichen Stellung gleichwertigen alten Begräbnishymnen aus Südafrika konfrontieren würde? Das Ergebnis wäre vermutlich ein schwer verdaulicher Mischmasch.

Doch das genaue Gegenteil war der Fall und wurde am Dienstag im ausverkauften Haus zum umjubelten Knaller, in seiner emotionalen Dichte und fesselnden Widersprüchlichkeit im Festspielprogramm vergleichbar mit Franuis „Schöner Müllerin“. Ein neuer Trend bahnt sich an: Das Publikum liebt es, wenn man die Musik abseits gewohnter Schemata einfach mal auf den Kopf stellt.

„Zwischen Himmel und Erde“ hat man dieses Projekt um die Kunst des Trauerns genannt. Ausgedacht hat sich diesen Plot ein findiger Kopf mit großem Herzen und weitem künstlerischen Horizont: der Feldkircher Musikvermittler Klaus Christa. Er ist seit vielen Jahren auch Mentor des südafrikanischen „Bochabela String Orchestra“, das hier zusammen mit dem versierten Landesjugendchor Voices zum Träger dieser Collage wird, die eigentlich ein 75-minütiges Medley ist, in dem die Werke genau verzahnt ineinander ablaufen.

Die Aufgaben sind dabei strikt verteilt. Das Mozart-Requiem als eine Art klassisches Grundgerüst wird von Voices mit 90 jungen Sängerinnen und Sängern aus dem ganzen Land übernommen, sicher, kompakt und wortdeutlich einstudiert von ihrem neuen Leiter Paul Burtscher. Vier internationale, professionell ausgebildete Gesangssolisten geben der Feierlichkeit des Werkes zusätzlichen Glanz: die israelische Sopranistin Shira Patchornik, die australische Altistin Fleuranne Brockway und die beiden Südafrikaner Kathleho Mokhoabane, Tenor, und Kabelo Lebyana, Bariton.

Das 50-köpfige Orchester der „Bochabelas“, verstärkt durch „Friends“ von der Iberacademy aus Medellin, Kolumbien, und der Stella, spielt mit seinem wendigen Konzertmeister Hloni Mokoena europäisch routiniert. Am Pult ist Benjamin Lack für den krankheitshalber verhinderten Gerald Wirth eingesprungen und sorgt für eine gewohnt sichere und ausgefeilte Aufführungsqualität bei Mozart.

Zwischen den einzelnen Teilen der Messe aber öffnen sich die bunt geschmückten afrikanischen Musikerinnen und Musiker mit ihrer ureigensten musikalischen Welt, die sie seit Kindertagen pflegen. Mit ihren kehligen Stimmen singen sie tanzend und stampfend auswendig diese Begräbnishymnen, erzielen dabei einen unglaublich klangvollen, authentischen Vokalsound, aus dem einzelne Stimmen solistisch so betörend herausstechen, dass es einem das Wasser in die Augen treibt. „Africa pur“, gewissermaßen.

Es sind meist relativ einfache, fast naive samtweiche Melodien und Harmonien, die wie ein letztes, leise swingendes Wiegenlied für den Verstorbenen anmuten. Die Übersetzung der Texte im Programmheft verweist freilich auf deren absolut ernsthafte und gläubige Inhalte. Voices stimmen unterstützend mit ein, der Südafrikaner Zuko Samela, längst ein Vorarlberger, begleitet einsam an seinen Congas.

Und nach ersten Schrecksekunden für die wenigen Puristen geschieht nun auch das Wunder, dass Mozart und Afrika nicht mehr nebeneinanderstehen, sondern sich so verbinden, dass Mozart glatt ein Afrikaner gewesen sein könnte. Wenn dann noch in den feierlichen letzten Mozart-Akkord hinein eine grelle afrikanische Frauenstimme das Lob Gottes auf Afrikaans anstimmt, rhythmisch und fröhlich, dann besteht kein Zweifel daran, dass auch in dieser Kultur Leid und Freude ganz eng beieinanderstehen.

Diese Überzeugung ergreift in einem Sog immer mehr auch das Publikum, so sehr, dass sich am Schluss der Saal sekundenschnell wie ein Mann zu Standing Ovations erhebt, da gibt es keine Ausnahme. Und viele der Zuhörer wohl am liebsten zusammen mit Sängern und Musikern im afrikanischen Moonwalk singend und swingend und klatschend aus dem Saal getanzt wären.
FRITZ JURMANN