Die Leute zum Nachdenken anregen

Interview mit Stephanie Gräve (55), Intendantin des Vorarlberger Landestheaters.
Mit einer Uraufführung startet das Vorarlberger Landestheater am kommenden Samstag in die neue Spielzeit. Intendantin Stephanie Gräve freut sich auf die kommenden Produktionen.
Vor fünf Jahren, anlässlich Ihrer Bestellung zur neuen Intendantin, meinten Sie, Sie möchten das Landestheater als einen Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, offen und experimentierfreudig.

In den letzten fünf Jahren ist es uns trotz der Pandemie gelungen, das Publikum des Landestheaters zu verändern und zu diversifizieren. Als ich 2018 hierher kam, bestand das Publikum hauptsächlich aus dem älteren Bürgertum, was zwar toll war, aber nicht die Vielfalt der Vorarlberger Gesellschaft widerspiegelte. Unser Ziel war es, das Image des Theaters zu verändern, ohne das bestehende Publikum zu vergraulen. Natürlich haben wir einige Abonnenten verloren, auch durch die Pandemie, darunter ältere Leute über 80. Einige von ihnen kommen jetzt wieder, weil wir auch Vorstellungen am Sonntagnachmittag um 17 Uhr anbieten. Das hat auch damit zu tun, dass nicht alle zentral in Bregenz wohnen und abends mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren wollen.

Insgesamt gelang es uns, dass die Publikumszahl trotz Neuausrichtung und Pandemie stabil geblieben ist. Was die gesellschaftliche Auseinandersetzung und die politischen Themen betrifft, die wir im Theater behandeln, habe ich das Gefühl, dass wir die Leute anregen. Zum Beispiel gab es am Sonntag auf unsere Matinee zu „Atlas Streikt” lebhafte Reaktionen, auch von der älteren Generation. Sie fanden es spannend, dass wir uns mit dem kapitalistischen System auseinandersetzen und halten das für aktuell und relevant. Ich habe das Gefühl, dass wir etwas bewegen und die Leute zum Nachdenken anregen, auch wenn unsere Aufführungen manchmal nicht jedem gefallen. Es entsteht eine gewisse Dynamik und Diskussion im Publikum, was ich sehr positiv finde.

Nach “Wunsch und Widerstand” Anfang des Jahres folgt nun am kommenden Samstag die nächste Uraufführung, eine Dramatisierung des Romans „Atlas streikt“ von Ayn Rand.
Rand war stark antikommunistisch geprägt, nicht zuletzt durch die Enteignung ihrer Familie während der russischen Revolution. Ihr Werk betont die Idee der individuellen Selbstvervollkommnung, unabhängig von der Art der Arbeit, die man verrichtet. Jeder, der sich mit Hingabe seiner Arbeit widmet, wird als wertvoll angesehen.

Unsere Theaterproduktion konzentriert sich auf die Grundhandlung und die Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren, die vielen philosophischen Elemente des Buches haben wir weggelassen. Einige Szenen wurden umgeschrieben, um die Erzählung zu straffen, und einige Schleifen wurden entfernt. Alles in allem können sich die Zuschauer auf eine spannende Inszenierung freuen.

Was erwartet uns in der kommenden Saison?
Die nächste Premiere ist “Fabian” nach dem Roman von Erich Kästner, inszeniert von Max Merker. Obwohl das Stück in den 30er Jahren spielt, ist es sehr aktuell und relevant. Max Merker, der für seinen einzigartigen Regiestil bekannt ist, wird dem Stück eine abgründige Komik verleihen. Ein weiteres Highlight ist das Stück “Gier” von Sarah Kane, inszeniert von Bella Angora, einer anerkannten Performancekünstlerin. Diese Arbeit zeichnet sich durch eine Textfläche ohne konkrete Handlung aus und fordert eine innere Auseinandersetzung mit dem Stück. Bella Angora wird nicht nur auf der Bühne agieren, sondern auch Schauspieler in ihre Inszenierung einbeziehen. Besonders interessant ist die Inszenierung “Hamlet”, die sich an Schulen richtet und durch die Kleinheit der Box die Nähe zwischen Schauspielern und jungen Schülern ermöglicht. Diese Produktion verspricht eine direkte Verbindung und Interaktion zwischen den Schauspielern und dem jungen Publikum.

Wie gelingt es Ihnen generell, ein junges Publikum anzusprechen?
In meiner ersten Spielzeit kamen rund 380 Schüler zu unseren Abendvorstellungen, in der letzten Saison waren es etwa 2.800. Wir haben die Schulen aktiv eingebunden und eine Flatrate eingeführt, mit der junge Leute bis 26 Jahre für 26 Euro ein Jahr lang ins Theater gehen können. Außerdem haben wir niederschwellige Angebote wie Liederabende geschaffen. Diese Veranstaltungen sprechen auch Menschen an, die das Theater als unzugänglich empfinden.

Ein weiterer Erfolg ist unser abendfüllendes Stück “Falco”, das bereits in die dritte Spielzeit geht und am Mittwoch, 27. September, im Großen Haus zu sehen sein wird. Darüber hinaus bietet unser junges Ensemble Identifikationsmöglichkeiten für das junge Publikum, da es sich leichter mit den Akteuren auf der Bühne identifizieren kann.