Zum Kinderschutzpaket: „Es muss auch mit Leben erfüllt werden“

Politik / 21.09.2023 • 16:55 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Zum Kinderschutzpaket: „Es muss auch mit Leben erfüllt werden“
Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer begrüßt das präsentierte Kinderschutzpaket sehr, sieht aber noch einige offene Fragen. Canva/Getty Images/Favor_of_God, VN/Philipp Steurer

Die Regierung schickt ihr „Kinderschutzpaket“ ins Parlament. Ob es seinen Zweck erfüllt, ist aber offen.

Wien, Feldkirch Das Sexualstrafrecht soll verschärft, das Tätigkeitsverbot ausgeweitet und Kinderschutzkonzepte an Schulen sollen verpflichtend erstellt und umgesetzt werden: mit diesen Eckpunkten schickt die türkis-grüne Bundesregierung ihr „Kinderschutzpaket“ in den Nationalrat. Künftig drohen etwa beim Besitz von dargestelltem Kindesmissbrauch statt einem bis zu zwei Jahre Haft, bei unmündigen Minderjährigen sogar drei Jahre. Der Beschluss im Parlament steht noch aus.

Erhöhte Strafandrohung „keine präventive Wirkung“

Ob strafrechtliche Verschärfungen aber tatsächlich zu mehr Kinderschutz beitragen, wird in der Rechtswissenschaft bezweifelt: „Die Erhöhung von Strafsanktionen bei Delikten, die bereits unter Strafandrohung stehen, [hat] beschränkte bis keine präventive Wirkung gegenüber potenziellen Tätern“ schreibt etwa Susanne Reindl-Krauskopf, Leiterin des Instituts für Strafrecht an der Universität Wien.

Claudia Plakolm, Staatssekretärin für Jugend-Agenden im Bundeskanzleramt, spricht dennoch von einer „Anlassgesetzgebung“. In letzter Zeit hätte es Anlässe gegeben, „bei denen die Strafen nicht in Relation zum verursachten Leid standen“, spielte sie auf das Urteil gegen Florian Teichtmeister an, ohne dieses direkt anzusprechen.

Christian Netzer ist Vorarlberger Kinder- und Jugendanwalt. <span class="copyright">VN/Philipp Steurer</span>
Christian Netzer ist Vorarlberger Kinder- und Jugendanwalt. VN/Philipp Steurer

Skeptisch ist auch Christian Netzer, Vorarlberger Kinder- und Jugendanwalt: „Das Dilemma der Strafverschärfung ist immer, dass das statistisch gesehen die Fallzahlen nicht zwangsläufig senkt. Es handelt sich eher um eine gewisse Symbolik. Offen ist aber, ob das in der Praxis tatsächlich die gewünschte Auswirkung hat“, sagt der Jurist im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten. „Sehr zu begrüßen“ sind laut Netzer die verpflichtenden Kinderschutzkonzepte an Schulen, aber: „Diese müssen auch mit Leben erfüllt werden.“

Dokumente, die nicht „in den Schubladen verstauben“ sollten

Dass das schwierig werden könnte, deutet sich bereits an: Für die Maßnahmen, wie der Verhaltenskodex für alle am Schulleben beteiligten Personen, sind laut Regierungsvorlage keine zusätzlichen budgetären Mittel, sondern nur Umschichtungen vorgesehen. Für Netzer ist das bemerkenswert: „Es wird etwa eine Koordinierungsstelle brauchen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt und die regelmäßig Fortbildungen in diesem Bereich anbietet.“ Denn die Konzepte dürften nicht nur irgendwelche arbeitsrechtlichen Dokumente sein, die in den Schubladen verstauben, sondern: „Es muss ein Bewusstsein in der Lehrerschaft geschaffen werden. Es gibt auch nicht an jeder Schule dieselben Risiken“, plädiert Christian Netzer, die einzelnen Situationen individuell zu betrachten und laufend zu evaluieren.

„Grundsätzlich wäre es begrüßenswert, dass alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, solche Schutzkonzepte erstellen und umsetzen.“

Christian Netzer, Kinder- und Jugendanwaltschaft

Dass Kinderschutzpakete nur an Schulen zwingend erstellt werden müssen und nicht etwa in Sportverbänden oder Vereinen, in denen mit Kindern gearbeitet wird, war Wunsch der ÖVP. Die Grünen hatten sich zunächst dafür eingesetzt, konnten sich aber nicht durchsetzen. Für Netzer ist die aktuelle Lösung ein erster Schritt: „Grundsätzlich wäre es begrüßenswert, dass alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, solche Konzepte erstellen und umsetzen.“ Es stelle sich aber die Frage nach der Praktikabilität: „Wenn ich das für jeden kleinen Verein verpflichtend mache, droht eher, dass die Vereine die Arbeit mit Kindern einstellen. Weil sie sich den Aufwand nicht antun wollen.“

So könnten die freiwillige Umsetzung von Kinderschutzkonzepten bzw. das Gütesiegel der geplanten Qualitätssicherungsstelle für Eltern eine Entscheidungshilfe sein, welchen Verein das Kind besuchen soll: „Außerdem könnte man freiwillige Maßnahmen etwa an die Vereinsförderung koppeln“, sagt Netzer. Auf VN-Anfrage erklärt eine Sprecherin von Claudia Plakolm, dass österreichweit bisher etwa 2500 Vereine die angebotenen Muster-Schutzkonzepte umgesetzt hätten.

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Die Regierungsvorlagen sind Teil eines Maßnahmenpakets, das laut Regierung auf drei Säulen aufbaut: Prävention, Strafverfolgung und Sanktionen sowie Opferschutz. Damit soll für einen „umfassenden Schutz“ von Kindern vor sexueller Gewalt gesorgt werden. Überarbeitet wurden auch die Regeln für das Verbot der Arbeit mit Kindern für bereits verurteilte Täterinnen und Täter: Bisher war erforderlich, diese Tätigkeit bereits zum Tatzeitpunkt ausgeübt bzw. beabsichtigt zu haben. Diese Einschränkung soll fallen.

„Mir ist wichtig, dass kein Kind Opfer wird, dafür müssen wir sie umfassend schützen“, sagte Justizministerin Alma Zadić zum Paket. „Kinder sind das Wertvollste, das wir in unserer Gesellschaft haben – wer sich an ihnen vergeht, zerstört unschuldige Kinderseelen und muss mit voller Härte bestraft werden“, meinte wiederum Familienministerin Susanne Raab (ÖVP).

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