Wenn vor allem Zeit keine Rolle spielen darf

Vorarlberg / 01.04.2014 • 20:51 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Thomas und seine Betreuerin Elisabeth sind mit Eifer bei der Arbeit. Ohne ihre Unterstützung geht es allerdings nicht.  Fotos: VN/Hartinger
Thomas und seine Betreuerin Elisabeth sind mit Eifer bei der Arbeit. Ohne ihre Unterstützung geht es allerdings nicht. Fotos: VN/Hartinger

Eltern von autistischen Kindern beklagen das Fehlen individueller Betreuung.

Schwarzach. „Angelika macht Fortschritte“, freut sich ihre Mutter, Beatrix Greber. Auch Christopher und Thomas sind auf gutem Weg. Zwei Dinge einen diese drei jungen Leute: Sie sind autistisch veranlagt und haben Eltern, die sich mit Vehemenz für ihr Fortkommen einsetzen. Was selbst heutzutage immer noch Schwierigkeiten bereitet. „Unsere Kinder passen nicht in das Schema bestehender Vorgaben“, bringt es Gabriela Nickel, die Mutter von Thomas, auf den Punkt. Was Kinder und Jugendliche mit Autismus stattdessen brauchen würden, wären flexible Hilfen. „Es geht um ein Angebot, das den individuellen Bedürfnissen entspricht und eine institutionelle sowie freie Gestaltung ermöglicht“, konkretisiert Petra Girardi, Obfrau der Autistenhilfe. Doch davon können betroffene Familien derzeit nur träumen.

Frühe Diagnose

Im Land gibt es rund 200 autistische Menschen. ihre Unterstützung ist unterschiedlich. „Die Kleinkinder sind sehr gut betreut“, räumt Petra Girardi ein. Auch, weil die Diagnose meist schon sehr früh erfolgt. Im Kindergarten und in der Volksschule funktioniert die Integration ebenfalls noch. Danach beginnen häufig die Probleme. „Ab einem bestimmten Alter wird das Benehmen unserer Kinder eben nicht mehr toleriert“, fügt Gabriela Nickel erklärend an. Dabei können sie wenig dafür, dass sie sind, wie sie sind. Und: „Sie sind schwierig“, will die Mutter von Thomas nichts beschönigen. Aber sie bedauert, dass die Gesellschaft autistische Menschen zu schnell aufgibt. „Da wäre Menschlichkeit gefragt“, sagt Nickel. Denn auch bei Eltern sei die Enttäuschung groß, wenn ihr Kind abgelehnt werde.

Einer, der es mit autistischen Kindern und Jugendlichen gut kann, ist Sascha Wehinger. Der erfahrene Behindertenbetreuer beschäftigt sich mit ihnen im Rahmen der sogenannten integrativen Wochenstruktur. Dort finden die Jugendlichen eine sinnvolle Tätigkeit, wo vor allem Zeit keine Rolle spielt. Etwas, das typisch ist für autistische Menschen. „Sie können in ihren Wünschen und Vorstellungen oft sehr beharrlich sein, und es dauert mitunter lange, sie da herauszuholen“, erzählt Wehinger. Doch er gibt ihnen und sich diese Zeit. So schafft er es, eine Beziehung und Vertrauen aufzubauen. „Sascha hat bei Christopher Dinge geschafft, bei denen wir aufgegeben haben“, betont Petra Girardi die Wichtigkeit einer Außenansicht.

Finanzielle Belastungen

Angebote wie die integrative Wochenstruktur werden durch die Integrationshilfe finanziert, um die Eltern ansuchen müssen. „Geld ist da“, erkennen sie ohne Abstriche an. Kritik hingegen erntet der bürokratische Aufwand. Zwar gibt es finanzielle Zuwendungen für 5,5 Betreuungsstunden. „Bei uns kommt jedoch nur Geld für drei Stunden an“, bemängelt Beatrix Greber. So müssen Eltern oft privat einiges drauflegen, wenn sie eine anderweitige als nur die institutionelle Betreuung für ihre Kinder möchten. Petra Girardi: „Es braucht wirklich großes finanzielles Durchhaltevermögen.“ Auch die Kontinuität bei den Betreuungspersonen sei nicht gewährleistet. Es fehle an Personal. „Urlaubszeiten müssen wir häufig selber auffangen“, so Girardi.

Unfreiwillige Ferien

Was Jeanette Bobos ärgert, ist, dass die Mitarbeiter in den zuständigen Abteilungen die Kinder, für die sie Entscheidungen treffen sollen, nicht einmal anschauen. Sie hat deshalb ihren 13-jährigen, mehrfach behinderten und autistischen Sohn Felix einmal dorthin mitgenommen. „Es herrschte eine große Betroffenheit“, erzählt sie. Noch größer war allerdings jene der Eltern, als Felix von der Schule flog. Der Bub sei aufgrund seines Benehmens nicht mehr beschulbar, lautete die Begründung des SPZ in Götzis. Jeanette Bobos musste ihren Job kündigen, um ihren Sohn betreuen zu können. 17 Wochen dauerten die unfreiwilligen Ferien. Erst dann gelang es mit Hilfe des Kinder- und Jugendanwalts, wieder einen Schulplatz zu finden. Seit März „darf“ der Bub nun wenigstens für ein paar Stunden das SPZ in Dornbirn besuchen. „So etwas ist einfach beschämend“, merkt Petra Girardi an.

Dabei wünschen sich die Eltern für ihre Kinder eigentlich nur eines: Sie sollen die Welt erleben dürfen wie andere Kinder auch.

Hilfen

Verein Autistenhilfe Vorarlberg: Treffen jeden zweiten Monat am Mittwochabend, 20 Uhr, bei Petra Girardi. Genauer Termin auf Anfrage.
Weitere Infos unter 0664/2401998, E-Mail: petra-girardi@aon.at und www.netzwerk-autismus.at

Service- und Kontaktstelle
Selbsthilfe Vorarlberg:
Tel. 05572/226374
E-Mail: info@selbsthilfe-vorarlberg.at

Elterntreff für Menschen mit Asperger Autismus:
Genauer Termin auf Anfrage bei Renate Vogel, Tel. 0664/80283572 und www.netzwerk-autismus.at

Stichwort. Autismus

Der frühkindliche Autismus ist eine schwere Entwicklungsstörung, die in der Regel in den ersten drei Lebensjahren auftritt. Kinder mit Autismus können sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen wie gesunde Kinder. Sie haben jedoch Schwierigkeiten bei der Verarbeitung dieser Informationen. Ihr Verhalten ist deshalb oft völlig unverständlich, wirkt auf Außenstehende unerzogen. Menschen mit Autismus suchen zwar Zugang zu ihrem Umfeld, sind aber oft nicht in der Lage, dies verständlich mitzuteilen. Dadurch entstehen im täglichen Leben oft schwierige Situationen für alle Beteiligten.

Ursachen, Prognosen und Behandlung von Autismus werden noch immer erforscht. Was es braucht, ist die Solidarität aller, um Autisten ein gleichberechtigtes Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.

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