„Für uns war sie eine gute Mutter“

Nach Vorwürfen gegen SOS-Kinderdorfmutter ergreifen Ex-Zöglinge Partei für sie.
DORNBIRN. „Uns ist es mit Agnes D. nicht so ergangen wie Peter Müller.“ Karin*, im SOS-Kinderdorf Dornbirn aufgewachsen, hat vier ihrer Kinderdorf-Geschwister zusammengetrommelt, um auf die Misshandlungsvorwürfe zu antworten, die Ex-Zögling Peter Müller gegen die Kinderdorfmutter geäußert hat. (Die VN berichteten.) Alle fünf* sind von Agnes D. (Name geändert) großgezogen worden und erklären solidarisch: „Sie war für uns eine gute Mutter.“
Kinderdorf ist „tolle Sache“
Vorausschicken will Karin, dass die Institution SOS Kinderdorf „wirklich eine tolle Sache“ ist. „Natürlich tut es mir sehr leid, wenn andere Kinder keine so schöne Zeit erleben durften wie wir“, räumt die 39-jährige Familienhelferin und Mutter von drei Kindern ein, „ich habe aber Agnes D. als fleißige, liebevolle und starke Frau erlebt.“
Karin sowie ihre leiblichen Brüder Andreas* und Martin*, wurden 1979 im Alter von drei, vier und fünf Jahren aus Oberösterreich ins SOS Kinderdorf Dornbirn gebracht. Grund war Verwahrlosung durch die Eltern. Karin blieb insgesamt 17 Jahre in der Obhut von Agnes D.: „Sie war schon konsequent. Ich wurde auch bestraft, aber nicht mit Schlägen, sondern mit Fernsehverbot.“
„Zu Hause in Oberösterreich gab es nur Kekse und Kakao“, erinnert sich Andreas, der 14-jährig das Kinderdorf verließ und in eine Jugendeinrichtung wechselte. Die ungesunde Ernährungsweise zu Hause wird von Martin, dem ältesten der drei Geschwister, bestätigt: „Salat habe ich zum ersten Mal im Kinderdorf gegessen.“ Er kann sich am besten an das Elternhaus erinnern: „Im Vergleich mit Daheim ist das Kinderdorf ein Paradies gewesen.“
Unterschiedliche Charaktere
Ja, konsequent sei die Mutti schon gewesen, bestätigt Martin. Sie habe auch viel leisten müssen. „Es war für sie sicher nicht einfach, bei so vielen unterschiedlichen Charakteren auf jedes einzelne Kind einzugehen“, meint er Verständnis zeigend, „auch wenn ich damals oft nicht begreifen konnte, warum ich Hemden bügeln, putzen oder Kraut stampfen musste.“
Heute sei er dankbar für diese Erziehungsmethode, „weil ich dadurch gelernt habe, alles selbst zu machen. Deshalb ernte ich auch Bewunderung vom anderen Geschlecht.“ Der gelernte Zimmermann und Vater eines elfjährigen Sohnes lacht, wird aber gleich darauf ernst: „Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht in diesem Kinderdorf aufgewachsen wäre. Jetzt passe ich überall dazu.“ Für ihn sei seine Kinderdorfmutter „eine Frau mit Herz“.
Christian*, geboren 1986, war eines der letzten Kinder, die von Agnes D. vor der Pensionierung betreut wurden. „Ich hatte eine schöne Zeit“, berichtet er. „Ich lernte alles, um selbstständig leben zu können: nähen, kochen, putzen – und Danke sagen.“ Von Beruf Trockenbauer hat auch er bereits eine eigene Familie gegründet.
Claudia kam 1970 als neun Monate altes Baby in Agnes D.s Obsorge. „Meine Eltern konnten mich nicht brauchen“, konstatiert sie. Die 44-Jährige ist als einzige dieser fünf Ex-Zöglinge in der gleichen Kinderdorffamilie wie Peter Müller aufgewachsen. Allerdings war Müller bei ihrer Ankunft bereits elf Jahre alt. „Aus mir ist ein anständiger Mensch geworden“, lässt Claudia wissen. Sie habe den Beruf Bautechnische Zeichnerin erlernt, geheiratet, zwei Kinder geboren. „Und das verdanke ich unserer Mutti. Auch darum, weil sie streng war.“ Mit Agnes D. sei sie – wie die anderen vier – in Kontakt geblieben.
Gesprächsbereit
Die betroffene ehemalige Kinderdorfmutter Agnes D. äußerte sich zu den Vorwürfen mit folgenden Worten: „Ich bin bereit, mit Peter Müller ein Gespräch zu führen.“
*Die fünf ehemaligen SOS-Kinderdorfkinder möchten anonym bleiben.
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