Auf in moderne Zeiten

Das Bahnhofsareal im Jahr 1983. Nach der Verlegung des Güterbahnhofs ist der Weg frei für einen Neubau. frm
Die VN beleuchten in einer Serie die Geschichte des Handels und der Mobilität am Bregenzer Bodenseeufer.
BREGENZ. (VN-frm) 1996 war es dann so weit: Durch die fertiggestellte Stadtstraße konnte der Leutbühel seiner früheren Funktion als Platz und Begegnungsort wieder gerecht werden. Mit der schon 1977 in eine Fußgängerzone umgewandelten Kaiserstraße begann sich das Stadtzentrum vom angewachsenen Verkehrsdruck zu befreien. Ein Blick auf die Vorarlberger Zulassungszahlen zeigt für die Jahre 1970 bis 1995 eine Vervierfachung bei den Pkw. Die ebenfalls zur individuellen Mobilität erwachten Nachbarländer trugen das Ihrige dazu bei, die Straßen mehr und mehr zu verstopfen.
Umbau am Hafen
Was die seeseitigen Teile der Landeshauptstadt anbelangt, gab es gegen Ende der 1990er signifikante Veränderungen im Stadtbild. Es entstanden unter anderem das Kunsthaus Bregenz und, ausgelöst durch das Hochwasser von 1999, auch Pläne, die alten Seeanlagen sorgfältig zu modernisieren. Dies erfolgte für den Bereich zwischen Festspielhaus und Hafen in zwei Bauetappen. Das Projekt „Seepromenade Neu“ fand seinen Abschluss in den Jahren 2009 und 2010, als der Hafen umgebaut und modernisiert wurde. Das Hafengelände wurde massiv aufgeschüttet, so entstand eine Art Hafenplatz. Das Fahnenrondell, eine mittlerweile eher nostalgisch anmutende touristische Fotokulisse, musste einem Servicegebäude weichen.
Quasi nur einen Häuserblock entfernt entstanden der verkehrsbefreite Kornmarkt und das neue Vorarlberg Museum. Wieder war Bregenz einem verkehrslosen innerstädtischen Erlebnisraum einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Auch in nördlicher Richtung wurde rege geplant und gestaltet – die „Pipeline Neu“ wurde letztes Jahr ihrer Bestimmung übergeben. Für Diskussion sorgt allerdings noch die Bahntrasse, die den See vom Rest der Stadt trennt. Mittlerweile ist mit der Genossenschaft „mehramsee“ eine Gruppe entstanden, die fordert, die Bahn unter die Erde zu verlegen – auch, um die Kapazität zu erweitern.
Während die ÖBB argumentieren, dass das Frachtvolumen auf dieser Strecke in den nächsten zehn Jahren nicht signifikant ansteigen werde, fragen sich die Genossenschafter, wieso dann ausgerechnet die Kapazität des Wolfurter Güterbahnhofs gerade für 66 Millionen Euro verdoppelt worden ist.
Uneinigkeit über Güterverkehr
Laut „mehramsee“ wird das „eingleisige Nadelöhr am Seerank die Verkehrsmassen der Zukunft nicht mehr bewältigen können“. Zusätzlich warnt die Genossenschaft, dass es zu einem massiven Zuwachs an Eisenbahnverkehr kommen würde, wenn die EU-Verkehrsdirektive greift, die bis 2050 am liebsten alle Fracht auf Schienen sähe. Pius Schlachter, Vorstand von „mehramsee“, sagt: „Infrastruktur gehört dorthin, wo sie niemanden belästigt. Unsere schöne Stadt wird seit 1872 unnötigerweise von der Bahn durchschnitten. Und spätestens seit den 1970er-Jahren vom Individualverkehr. Wir denken, es ist an der Zeit, die Gegend am See und darüber hinaus bis hin zum Güterbahnhof Wolfurt davon zu befreien.“ Es sei kein reines Bregenzer Thema, sondern für ganz Vorarlberg wichtig.
Was die Finanzierung anbelangt, etwa 900 Millionen Euro, verweist Schlachter auf Konzepte, die sowohl als kooperatives Gemeinschaftsmodell mit Landeshaftung als auch ein durch EU-Förderungen gestütztes Infrastrukturvorhaben funktionieren können.
So wechselhaft sich die Geschichte der Bregenzer Bucht seit den Kelten, den Römern und den Bregenzern präsentiert – in Richtung Zukunft kann niemand ein letztes Wort sprechen. Deshalb werden die VN, zum Abschluss dieser Serie, im sechsten Teil den beteiligten Instanzen Platz für einen offenen Diskurs einräumen.

Der Leutbühel im Jahr 1903: eine Idylle. Blick in die Maurachgasse.
,,mehramsee“
Gegründet im April 2013, versteht sich die Genossenschaft nach eigenen Angaben als Versuch, die “kurzatmigen Belange der Politik, die sich von Wahltermin zu Wahltermin hanteln muss, mit infrastrukturell nachhaltigen Ideen zu beeinflussen”. Die Meinungslage in der Bevölkerung ist geteilt: Für die einen sind es spekulative Spinner, für die anderen Menschen, die sich trauen, auch in eine entferntere Zukunft zu blicken.
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