„Jeder Augenblick ist kostbar“

„Nicht von der Angst die Freude am Leben nehmen lassen“, sagt Bischof Benno Elbs.
Schwarzach. Jeder Tag kann Auferstehung bedeuten, wenn wir die Liebe leben. Wir sollten uns nicht von Angst beherrschen lassen. Bischof Benno Elbs spricht im VN-Osterinterview über seine Lebenserfahrungen.
Die meisten Menschen fürchten sich vor dem Sterben und dem Tod, viele haben auch Angst im Leben und vor dem Weiterleben. Warum ist das so, welches sind die Gründe dafür?
Elbs: Angst an sich ist nichts Schlechtes, manchmal sogar überlebensnotwendig. Sie ist ein Warnsignal, das uns oft davon abhält, etwas Unüberlegtes, Gefährliches zu tun. Auch die Angst vor dem Sterben und dem Tod ist etwas ganz Menschliches. Wir befinden uns jetzt mitten in der Karwoche. Die Christen erinnern sich da auch an Jesus am Ölberg. Auch er hatte Angst vor dem Tod und dem Sterben. Wir wissen, dass wir sterben werden. Das ängstigt uns manchmal. Trotzdem wäre es falsch, sich von dieser Angst die Freude am Leben nehmen zu lassen. Wir sollten uns nicht von der Angst beherrschen lassen. Ich schätze an der christlichen Tradition, dass der Tod nie ausgeschlossen, nie tabuisiert wird. Der Tod macht das Leben erst wertvoll, jeder Augenblick ist kostbar. Ich weiß, das lässt sich leichthin sagen. Mir geht es, Gott sei Dank, wie vielen anderen in unserem Land auch – gut. Aber ich kenne sie natürlich, die Menschen, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind. Ich weiß, dass es manchmal sehr dunkel werden kann, so dunkel, dass der Tod fast
wie Erlösung erscheint: die alleinerziehende Mutter, die nicht mehr weiter weiß, der Schwerkranke, der Einsame, der Obdachlose. Die Gründe für diese Dunkelheit sind so unterschiedlich wie die Geschichten, die hinter diesen Menschen stehen. Ratschläge wie „Da musst du jetzt durch. Das wird schon wieder“, wären nur Schläge. Viel mehr als einfach da sein, das Leid mit aushalten, ist oft nicht möglich.
Nicht wenige wählen ganz bewusst den Weg der aktiven Sterbehilfe – vielfach bereits in gesunden und glücklichen Zeiten – praktisch als Versicherung, um Leid und das Dahinsiechen zu vermeiden. Reicht da eine körperlich schmerzfreie und einfühlsame Sterbebegleitung aus? Bzw. was lässt die Menschen zufrieden und im Reinen mit sich ins geistige Dasein übertreten?
Elbs: Wir leben heute in einer Zeit, die das „Makellose“, das „Perfekte“ liebt und die einen unglaublichen Druck aufbaut, auch makellos zu sein. Das ist keine Gegenwarts-Schelte, es ist einfach eine Beobachtung. Wir versuchen, alles unter Kontrolle zu haben, und das ist auch eine Reaktion auf Verunsicherung und Angst, weil sich rund um uns alles rasend schnell verändert. Krankheit, Sterben, Tod, das sind Momente, in denen wir die Kontrolle verlieren. Ich glaube aber nicht, dass die aktive Sterbehilfe hier das richtige „Heilmittel“ ist. Vielmehr befürchte ich, dass aus einer scheinbaren Freiheit – die Freiheit, selbst das Ende seines Lebens bestimmen zu können – sehr schnell eine Empfehlung und in letzter Folge auch eine Erwartung werden kann. Von der Freiheit bis zum unterschwelligen Vorwurf, bitte doch niemandem zur Last zu fallen, ist es oft nur ein kleiner Schritt. Als Christ kann ich hier nur sagen: Das Leben ist ein Geschenk. Es ist auch ein Auftrag. Jeder Mensch hat seine Würde – auch der sterbende Mensch. Und am Ende eines jeden Lebens bleibt immer die Liebe – die Liebe, die man gegeben hat und die, die man empfangen hat. Nichts Gutes geht verloren. Die Hospiz-Begleitung in Vorarlberg verwirklicht diese Überzeugung. Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass es so viele Menschen gibt, die sich für Sterbende und Schwerkranke einsetzen. Sie sind es auch, die immer wieder darauf achten, dass der Tod nicht verdrängt und zum Tabu wird. Denn eine mündige, aufgeklärte Gesellschaft darf es sich nicht leisten, den Tod verdrängen zu wollen. Er ist Teil des Lebens und seiner Würde, auch wenn er gerade nicht dem Ideal von Schönheit, Leichtigkeit, Makellosigkeit entspricht. Eine Gesellschaft beweist sich immer dort, wo es schwierig wird. Das sind die „Prüfsteine“. Und unser Prüfstein heißt auch: „Wie gehen wir miteinander um, wenn wir den Idealen nicht mehr entsprechen können? Sind wir füreinander da, gerade am Ende des Lebens?“ Niemand soll durch die Hand, sondern an der Hand eines Menschen sterben.
Existenzängste aufgrund von Schicksalsschlägen, Elend und Armut lassen Menschen resignieren, depressiv und mitunter zu Bettlern werden. Kann nicht jeder Tag zur „Auferstehung“ werden durch die Erkenntnis, dass Gott die bedingungslose Liebe ist und wir unsere Lebensweise und unser Handeln positiv ändern – ob als Elender, der Hoffnung schöpft, oder als Gesunder und Wohlhabender, der Nächstenliebe lebt?
Elbs: Das ist richtig. Wenn wir unser Handeln ändern, egal mit welchem Schicksalsschlag wir gerade zu kämpfen haben, wenn wir wieder hoffen, dann liegt darin ein großes Potenzial zur Veränderung oder „Auferstehung“. Oft ist es aber auch so, dass uns dazu schlichtweg die Kraft fehlt. Dann brauchen wir Menschen, die mit uns gehen. Ich hole mir die Kraft dazu, Begleiter und auch Begleiteter zu sein, aus meinem Glauben. Denn es gehört auch Mut dazu, um Hilfe zu bitten oder Hilfe zu leisten. Ich denke da als ein aktuelles Beispiel an die vielen bettelnden Menschen, die scheinbar plötzlich in unseren Dörfern und Städten anzutreffen sind. Von den vielen Vorurteilen und Ängsten einmal abgesehen – seien sie berechtigt oder auch nicht – frage ich mich da immer öfter, was es über eine Gesellschaft aussagt, die die Armut nicht mehr sehen will. Wir fühlen uns gestört, weil da einer sitzt – ein Mann, eine Frau – und die Hand aufhält. Freilich, der Umgang mit bettelnden Menschen führt uns an unsere Grenzen, macht uns ratlos, fordert uns heraus. Eines stimmt mich nachdenklich: Da ist meist nicht viel von Nächstenliebe zu spüren. „Auferstehung“ findet dann für mich statt, wenn wir uns auf das Wort Christi besinnen „Was ihr dem/der Geringsten meiner Brüder/Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Jesus ist uns da das beste Beispiel. Er steht immer auf der Seite jener, die von der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Wenn wir diesen Sinneswandel schaffen, dann können wir für andere Zeichen der Liebe Gottes werden. Und sei es nur, dass wir dem Blick eines bettelnden Menschen nicht ausweichen, sondern ihm ein kurzes Lächeln schenken.
Bedeutet Auferstehung nicht auch, dass sich die Liebe, das Leben, das Gute durchsetzen und so die Würde zurückkehrt, angesichts vorherrschender materialistischer Kälte, Gier und Egoismus?
Elbs: Ja, genau. Auferstehung heißt, wir hoffen trotz der Hoffnungslosigkeit, wir leben trotz des Todes. Das Gute setzt sich immer durch, auch wenn alle Zeichen auf das Gegenteil deuten. Das Gute hat das letzte Wort. Deshalb wünsche ich uns in diesen Tagen ganz besonders, dass wir die Welt mit „Oster-Augen“ betrachten können. Der „Oster-Blick“ sieht zuerst auf das, was gelingt. Wir sehen zwar, was alles im Argen liegt, aber wir bleiben nicht resignierend stehen. Auferstehung heißt, trotzdem zu hoffen. Turbokapitalismus, Gier, Ausbeutung der Umwelt – die Liste ist beinahe endlos – all das kommt irgendwann an sein Ende. Und es ist an uns, dieser Kälte ein Gegengewicht zu sein. „Seid füreinander da und seid euch sicher, dass ich für euch da bin“ – nichts anderes gibt uns der Auferstandene an Ostern mit auf den Weg. Wir schätzen die Freiheit und gleichzeitig tragen wir Verantwortung, mit allem, was uns anvertraut ist, respektvoll umzugehen. Nehme ich diesen Auftrag Gottes ernst, dann kann ich gar nicht anders, als an meinem Platz, egal, wo ich gerade bin, ein „österlicher Mensch“ zu sein. Auferstehung ist überall dort, wo Menschen sich einander zuwenden. Auferstehung ist keine große Geste, Auferstehung ist vor allem das Kleine im Alltag. Da sind wir gefordert, täglich neu. Ich garantiere, wenn wir Ostern so beim Wort nehmen, dann ist kein anderes Ende denkbar als das Gute, das sich durchsetzt.
Am Ende des Lebens bleibt immer die Liebe, die man gegeben und empfangen hat. Nichts Gutes geht verloren.
Bischof Benno Elbs
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.