“Roma brauchen auch bei uns Unterstützung”

Vorarlberg / 29.12.2015 • 20:53 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Zwei Familien feierten zusammen Weihnachten: Ionut, Baby Raisa und Sonia sowie Sylvie, Samira und Michael Meyer. Foto: hrj
Zwei Familien feierten zusammen Weihnachten: Ionut, Baby Raisa und Sonia sowie Sylvie, Samira und Michael Meyer. Foto: hrj

Romafamilie feiert mit Pfarrersfamilie. Für Wiesflecker bleibt die Lage „herausfordernd“.

dornbirn. „Schön war das Weihnachtsfest“, sagt Sonia. Die Augen der jungen Frau strahlen. Heiligabend gefeiert hat das Roma-Paar Sonia (20) und Ionut (23) zusammen mit der Familie des evangelischen Pfarrers von Dornbirn. Auch Sonias Eltern und Ionuts Bruder waren eingeladen. „Sonia und ihre Mutter haben Sarma, eine traditionelle rumänische Speise, zubereitet, und dazu köstliche Salate“, erzählt des Pfarrers Ehefrau Sylvie Meyer. Gegessen und beschert wurde zwischen der Familienmesse um 17 Uhr und dem Abendgottesdienst um 22:30 Uhr.

Sonia und Ionut stammen aus Ploiesti, einer 200.000-Einwohner-Stadt in Rumänien. Sie kamen nach Vorarlberg, um der bitteren Armut in ihrem Herkunftsland zu entkommen. Nachdem am 31. Oktober Tochter Raisa geboren wurde und die Familie auf der Straße stand, bot ihnen Pfarrer Michael Meyer (55) ein Zimmer in seiner Wohnung als provisorische Unterkunft an.

Seit zwei Wochen arbeitet Ionut. Er hält den Restaurationsbereich der Autobahnraststätte Rosenberg in Hohenems sauber. „Der Chef ist sehr zufrieden mit ihm“, sagt Pfarrer Meyer. Ionut mache seinen Job gut, beweise Ausdauer. Zudem lernt er jetzt gemeinsam mit Sonia intensiv Deutsch.

Sonia und Ionut haben Glück. Den meisten anderen Roma, die in Vorarlberg gelandet sind, geht es bedeutend schlechter. Die einen haben ein Dach überm Kopf, andere verbringen die kalten Tage weiterhin in Tiefgaragen und anderen überdachten, öffentlichen Orten.

Für einige Roma ist der Dornbirner Bahnhof weiterhin Aufenthaltsort und Treffpunkt. Gestern, am Dienstag, gegen halb zwei Uhr nachmittags standen oder hockten fünf Frauen mit und ohne Kinder vor dem Bahnhofsgebäude und baten diskret um Almosen. Beobachtet wurden sie von drei Mitarbeitern der ÖBB-Security.

Pfarrer Meyer schätzt, dass etwa 100 Roma keinen Wohnplatz haben. Für ihn ist es „unbegreiflich, dass man in Vorarlberg 100 Menschen in der Kälte stehen lässt. Was passiert, wenn die Temperaturen unter null Grad abfallen? Wer dann keine Bleibe hat, kann erfrieren.“ Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (51, Grüne) berichtet von 50 Notschlafstellen, die für Notreisende aus Rumänien eingerichtet wurden. Für Frauen mit Kindern sowie für  Schwangere habe man ein Unterkunftsangebot der Caritas Feldkirch angenommen.

Was die Zahl der sich hier aufhaltenden Roma betrifft, ist Wiesflecker zufolge „eine Bewegung zu beobachten. Manche gehen, manche kommen.“ Gerade jetzt, in den Tagen vor Neujahr, nähmen recht viele das Rückreiseangebot – Fahrkarten nach Rumänien plus Jausenpaket – in Anspruch.

Herausforderung bleibt

Um die Situation vor Ort zu erkunden und zu beschließen, welche Projekte dort künftig unterstützt werden, plane Landesrat Johannes Rauch (56, Grüne) Ende Jänner mit einer Delegation nach Rumänien zu reisen, informiert Wiesflecker. In Vorarlberg selbst habe sich die Lage zwar etwas beruhigt, „sie bleibt jedoch weiter herausfordernd“.  

Pfarrer Michael Meyer warnt indes: „Die Not der Menschen in Rumänien ist derart groß, dass sie das Land in Scharen verlassen.“ Positiv stimmt ihn, wie hierzulande immer mehr Menschen begreifen, „dass die Roma aus Armut betteln und kein Geschäftsmodell dahintersteckt, und dass sie hier genauso unsere Hilfe brauchen wie die Roma in Rumänien“. Der Pfarrer plädiert dafür, in Vorarlberg eine Anlaufstelle zu schaffen, „wo sich diese Menschen orientieren können“.

Sonia und Ionut werden auch den Jahreswechsel im Haus des Pfarrers feiern. Doch im neuen Jahr möchten die beiden so bald wie möglich in eine eigene Wohnung ziehen.

Es ist unbegreiflich, dass man in Vorarlberg 100 Menschen in der Kälte stehen lässt.

Pfarrer Michael Meyer