Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

So viel Frau für so wenig Leben

Vorarlberg / 03.05.2016 • 18:31 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Sie starb und war noch keine dreißig. Der Sarg ist schwer gewesen, weil die Frau schwer gewesen war, schwer an Gewicht, schwer an Kummer.

Sie wurde krank, und es war wohl die Abwesenheit von Begehrlichkeit, kein Mann wünschte sich eine wie sie. Ärzte konnten keine bestimmte Krankheit feststellen, psychosomatisch, hieß es. Die Luft blieb ihr weg, der Mund wurde trocken, sie konnte nicht mehr sprechen.

An einem Sonntag war das alles geschehen. Nach dem einsamen süßen Essen konnte sie ihre Finger nicht mehr bewegen. Sie wollte das Geschirr abräumen, es gelang nicht. Sie legte sich auf das Sofa und sah auf den Tisch mit einem Teller, einem Glas, einer Salatschüssel. War kein Mann für sie vorgesehen? Sie hätte sich einen im Internet suchen können, hätte sich nur mit ihrem Antlitz gezeigt, und Interessenten wären ihr sicher gewesen. Ihr Gesicht war reizend. Hell die Haut, die Augen dunkel, der Mund üppig, ja und das Doppelkinn hätte sie mit einem Schal kaschiert. Aber dann, was wäre geschehen, wäre sie dem Mann gegenübergetreten? Watschelnd war ihr Gang, die Schenkel schlugen aneinander, die Arme waren dick, wie bei Babys bildete sich im Gelenk ein Fettwulst. Ihre Hände sahen gepflegt aus, waren klein wie ihre Füße, wäre sie nicht so schwer gewesen, sie hätte die extravagantesten Schuhe tragen können. Das Gewicht der Welt. Sie las viel, war gebildet, was niemand wusste. An ihrer Arbeitsstelle verrichtete sie Dienst, und sobald die Zeit vorbei war, stieg sie in den Bus. Büroarbeit war gar nicht so schlecht, aber die Frau war unterfordert.

So auf dem Sofa liegend, tröstete sie allein der Gedanke, dass sie sterben könnte, nicht gleich, aber mit intensiver Gedankenleistung vielleicht in einem halben Jahr.

Sie musste in den Krankenstand, dem Amtsarzt vorgeführt werden, das klang so demütigend. Der Arzt befand sie als gesund, zu dick, aber gesund. Abnehmen war das Einzige, was ihm einfiel, vielleicht einen Magenring, dafür finde er sie aber zu jung. Es müsste doch möglich sein, mit Disziplin und so weiter. Er rauchte eine Zigarette zum Fenster hinaus.

Sie wurde in die Psychiatrie überstellt, weil die Ärzte sich keinen Rat mehr wussten, bekam Tabletten. Kamen die neuen Ärzte auf Visite, stellte sie sich schlafend, wurde sie gerüttelt, tat sie, als spüre sie nichts.

Im Frühling bettete sie eine Schwester, eingewickelt in Decken, auf den Balkon. Keine Besserung zeigte sich. Die Schwester nahm sich Zeit, setzte sich an ihre Seite und sagte, ihr fehle nichts, die Tabletten, die sie bekomme, seien Placebos, ob sie gesund werden wollte, liege ganz allein an ihr.

Sie lag reglos und konzentrierte sich. Die Schwester fand sie tot.

Sie musste in den Krankenstand, dem Amtsarzt vorgeführt werden, das klang so demütigend.

monika.helfer@vorarlbergernachrichten.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.

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