Lahme Stichwahl
Die in zwölf Tagen zu treffende Entscheidung über den nächsten Bundespräsidenten ist bei vielen Leuten offenkundig aus dem Bewusstsein verschwunden. Es gibt kaum Neues zu berichten, andere Themen wie die Führungsdiskussion in der SPÖ stehen im Vordergrund, und manche sehen das Rennen ohnedies schon als gelaufen an. Das verheißt für die Wahlbeteiligung nichts Gutes. Im spannungsgeladenen ersten Wahlgang war immerhin bereits ein Drittel der Wählerschaft zu Hause geblieben, in Vorarlberg sogar mehr als die Hälfte.
In Wiener Medien wird die nur knapp auf dem dritten Platz gelandete Irmgard Griss gescholten, weil sie keine Wahlempfehlung für Alexander Van der Bellen abgibt. Dass sich SPÖ und ÖVP ebenfalls zurückhalten, wird verdrängt. Abgesehen von der Frage, wen eine solche Empfehlung bei seinem Wahlverhalten überhaupt noch beeindrucken würde, wollen sich die Regierungsparteien offenkundig nicht gegen einen möglichen Präsidenten exponieren, dem sie dann höflichkeitshalber den Rücktritt anbieten sollten. Es könnte ja sein, dass er die Gelegenheit beim Schopfe packt. Ausgeblieben ist auch ein sogenannter Lagerwahlkampf (breiter Widerstand gegen einen FPÖ-Bundespräsidenten). Selbst den Grünen scheint der überraschend große Rückstand die Sprache verschlagen zu haben.
Bisher schienen politische Wünsche des Bundespräsidenten in den Wind gesprochen. Dass ein meistens von der SPÖ, zwischendurch zweimal von der ÖVP gestellter Bundespräsident von SPÖ oder ÖVP geführte Bundesregierungen wegen Nichterfüllung seiner Vorstellungen entlassen hätte, war faktisch ausgeschlossen. Dass Norbert Hofer die Rute ins Fenster gestellt hat und man ihm die Entschlossenheit auch abnimmt, wird bald Wirkung zeigen. Dabei wird sich umgekehrt aber auch zeigen, dass manche Vorstellungen zu den von Bundespräsident Fischer erwähnten Allmachtsfantasien zählen werden. Ob es zu einem Thema eine Volksabstimmung gibt, entscheidet weder Bundespräsident noch Bundesregierung, sondern allein der Nationalrat, und hier würde eine Abberufung der Bundesregierung gar nichts nützen. Da müsste schon der Nationalrat aufgelöst werden. Gleiches gilt für die Absicht, Gesetze mit Steuererhöhungen nicht zu akzeptieren. Das alles käme schon in bedenkliche Nähe eines Präsidentenputsches. Aber spätestens bei einem Bundeskanzler Strache wäre das ohnedies alles Schnee von gestern. Das Stück „Hofer setzt Strache ab“ wird nicht auf dem Spielplan stehen. Insoweit ist Hofers Kandidatur einfach die Absicht, auch das Präsidentenamt für Oppositionspolitik heranzuziehen. Jedenfalls gehen wir, wenn sich die Meinungsforscher nicht doch wieder irren, spannenden Zeiten entgegen.
Manche Vorstellungen werden zu den Allmachtsfantasien zählen.
juergen.weiss@vorarlbergernachrichten.at
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre
lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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