Viel mehr als ein nicht gewährter Händedruck

Vorarlberg / 19.05.2016 • 18:34 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Kopftücher in der Schule. Es gibt sie heute viel zahlreicher als noch vor wenigen Jahren. Foto: dpa
Kopftücher in der Schule. Es gibt sie heute viel zahlreicher als noch vor wenigen Jahren. Foto: dpa

Experten sprechen über den Islam und Grenzziehungen zur Wahrung liberaler Werte.

Götzis. Direktoren, Lehrer, Vertreter der Schulaufsicht, Vertreter der alevitischen Glaubensrichtung, Islamexperten, aber leider nicht jene, die thematisch im Mittelpunkt standen, eine Einladung jedoch ausschlugen: Sie alle hatten sich in der Volkshochschule Götzis versammelt, um die aktuellen Ereignisse rund um den jetzt abgezogenen Islamlehrer zu reflektieren, der sich unter anderem weigert, Frauen die Hand zu geben. HAK-Bregenz-Direktor Manfred Hämmerle (58) und sein mittlerweile pensionierter Kollege aus Lustenau, Hermann Begle (63) berichteten von ihren Erfahrungen mit Ömer Kutlucan (34), und die Zuhörer staunten nicht schlecht.

Der Vergleich

„Man stelle sich vor, ein stramm rechtsnationaler Burschenschafter verweigert seinem jüdischen Schüler bei der Matura den Handschlag. Die Empörung wäre riesig. Für mich ist dieser Vergleich zulässig, wenn ich an die Handschlagsverweigerung des Ex-Kollegen gegenüber Frauen denke.“ Hämmerle spannt den Bogen zur Problematik bei vielen türkischstämmigen Schülern mit sunnitischer Glaubensausrichtung. „Sie sind überrepräsentiert bei jenen, die im Unterricht fehlen, bei jenen, die nicht die Aufnahme in die HAK schaffen, in der Handelsschule landen, sich in Sonderschulen wiederfinden. Die Deutschkenntnisse bei dieser Schülergruppe haben sich in den letzten Jahren verschlechtert.“ Ganz anders verhalte es sich mit Aleviten. Da gebe es keine Sprachprobleme, und die Leistungen seien um vieles besser.

Bei der Matura

Hämmerle und Begle berichten von verstörenden Erlebnissen, die sie mit dem streng sunnitisch ausgerichteten Islamlehrer machten, dessen Welt- und Gesellschaftsbild sie seit dessen Amtsantritt vor sechs Jahren anprangerten. „Als er schon bei seiner Vorstellung allen Kolleginnen den Handschlag verweigerte, war die Irritation von Beginn an da“, erinnert sich Hämmerle. Zum Teil höchst bedenklich seien Kutlucans Maturaprüfungen gewesen. „Da wurde einem völlig rückständigen Frauenbild gehuldigt. Einmal bestand eine Prüfung ausschließlich darin, eine islamische Frauenrechtlerin zu zerreißen.“ Kutlucan habe seine Handschlagsverweigerung gegenüber Frauen auch damit begründet, die Handberührung mit einer Frau könne unerwünschte Fantasien auslösen. „Bedenklich ist, dass einige muslimische Schülerinnen diese Haltungen übernahmen und begannen, den männlichen Lehrern den Handschlag zu verweigern“, so Hämmerle. Selbstkritischer Nachsatz: „Wir müssen uns aber auch fragen, was wir falsch machen, wenn solche Entwicklungen passieren.“

Singverbot

Der Bregenzer Bezirkspflichtschulinspektor Wolfgang Rothmund (61) erzählt von Interventionen an Schulen durch strenggläubige Eltern. „Es geht dabei sehr häufig ums Kopftuch, das die Kinder auch im Turnunterricht tragen sollen. Das habe ich aus Sicherheitsgründen untersagt.“ Es gehe aber auch um Schwimmstunden in Hallenbädern. Laut Rothmund wollen streng religiöse Eltern nicht, dass ihre Töchter dorthin mitgehen. Einmal habe er sogar die Aufforderung erhalten, dafür zu sorgen, dass das Licht im Hallenbad verdunkelt werde, wenn muslimische Mädchen schwimmen gehen. „Und einmal wollte ein muslimischer Vater durchsetzen, dass sein Kind in der Musikstunde aus religiösen Gründen nicht singen muss.“

Ein besseres gegenseitiges Verständnis mahnt Ursula Rapp, Islambeauftragte der Diözese Feldkirch, ein. „Trotzdem gibt es Linien, die nicht überschritten werden dürfen“, stellt aber auch sie klar.

„Das Problem mit der Nicht-Anpassung ist kein islamisches Problem. Der Handschlag ist ein Zeichen des Vertrauens, dessen Verweigerung ein Zeichen von Distanz. Im Koran findet sich für so ein Verhalten keine Rechtfertigung“, argumentiert Özgür Erdogan, Fachinspektor für den alevitischen Religionsunterricht.

Der AHS-Lehrervertreter Gerhard Pusnik (57) beklagt die Passivität der Behörden, die im Fall Kutlucan sechs Jahre nichts unternommen haben. Der frühere ÖVP-Klubobmann im Landtag und jetzige Religionslehrer Rainer Gögele (59) will die in unserer Gesellschaft üblichen Anstandsregeln einfordern. Er sieht nicht ein, „warum wir uns für unser Selbstverständnis rechtfertigen sollen“.

Bedenklich, wenn Schüler diese Haltungen übernehmen.

Manfred Hämmerle

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