Jerusalem als Biotop des Lernens

Vorarlberg / 07.04.2017 • 18:10 Uhr / 12 Minuten Lesezeit
Seit 2004 leitet Markus Bugnyar als Rektor das Österreichische Hospiz in Jerusalem. Doch der Burgenländer ist nicht Priester geworden, um nur Hoteldirektor zu sein, wie er sagt. Er möchte auch Akzente für ein besseres Miteinander setzen. Für ihn stellt Jerusalem eine Art Lernbiotop dar, weil Menschen dort einander nicht ausweichen können. Fremde in ihrem Selbstverständnis zu akzeptieren ist etwas, das nach Meinung des Priesters auch für die Integration von Bedeutung ist. Mit dem Unterschreiben von Er­klärungen und Absitzen von Wertekursen kann es seiner Ansicht nach nicht getan sein. Das Gespräch führten VN-Chefredakteur Gerold Riedmann und Marlies Mohr.

Seit 2004 leitet Markus Bugnyar als Rektor das Österreichische Hospiz in Jerusalem. Doch der Burgenländer ist nicht Priester geworden, um nur Hoteldirektor zu sein, wie er sagt. Er möchte auch Akzente für ein besseres Miteinander setzen. Für ihn stellt Jerusalem eine Art Lernbiotop dar, weil Menschen dort einander nicht ausweichen können. Fremde in ihrem Selbstverständnis zu akzeptieren ist etwas, das nach Meinung des Priesters auch für die Integration von Bedeutung ist. Mit dem Unterschreiben von Er­klärungen und Absitzen von Wertekursen kann es seiner Ansicht nach nicht getan sein. Das Gespräch führten VN-Chefredakteur Gerold Riedmann und Marlies Mohr.

Bei der Frühjahrskonferenz der Bischöfe in Vorarlberg ging es unter anderem um Integration und die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt. Wie stehen Sie zu diesen Themen?

Eine spannende Frage, die aber wenig mit dem Tagesgeschehen im österreichischen Hospiz zu tun hat. In Jerusalem ist meine Lebensrealität die, dass ich einer absoluten Minderheit von Christen angehöre. Bei uns ist es wichtig, dass ich als Geistlicher erkennbar bin, wenn ich mich im Haus oder außerhalb des Hauses bewege. Auch die Themen Geschiedene-Wiederverheiratete oder verheiratete Kleriker, die in der Kirche arbeiten, entsprechen schlicht nicht der Lebensrealität der Christen im Orient. Bei denen geht es um Existenzfragen, um Fragen des Überlebens.

Wie geht es uns in unserer Gesellschaft, aber auch jener im Nahen Osten mit religiösen Symbolen?

Religiöse Symbole sind von einer unglaublichen Strahlkraft. Wenn ich mich als Priester mit einem Kreuz sichtbar in Jerusalem bewege, muss ich allerdings damit rechnen, auf Menschen zu stoßen, die das als Angriff, als Beleidigung, als Affront empfinden. Für mich ist es jedoch wenig überraschend, dass Nicht-Christen, wenn sie ein Kreuz sehen, entweder vor mir oder hinter mir als Zeichen des Missfallens ausspucken. Das mutet beim ersten Mal seltsam an, weil man nicht weiß, was das soll und wir in Österreich es gewohnt sind, religiösen Symbolen mit einer gewissen Gelassenheit zu begegnen, ja vielleicht sogar mit einer gewissen Gleichgültigkeit.

Das heißt was genau?

Wir Christen haben unser Symbol und Muslime oder Juden haben ihre Symbole. Die kommen in unserer Wahrnehmung meist gleich gültig nebeneinander zu stehen. Wir übersehen dabei manchmal, dass es aber nur unsere Perspektive ist. Wir haben durch geschichtliche Entwicklungen, Bildung und Aufklärung gelernt, eine Toleranz gegenüber anderen Symbolen zu entwickeln, die es uns erlaubt, sie im öffentlichen Raum wahrzunehmen, ohne uns daran zu stoßen. Wir übersehen auch manchmal, dass andere Kulturen diese Einstellung unseren Symbolen gegenüber nicht haben. Wir können zum Beispiel mit unseren Pilgergruppen nicht sichtbar ein Kreuz tragend auf den Tempelberg, wir können nicht in eine Moschee damit gehen. Es geht sogar so weit, dass man auch selbst keine Heilige Schrift mit sich führen darf. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Symbole eine Werteinschätzung und kulturelle Bestimmtheit transportieren, die wir so nicht haben, von denen unser Gegenüber aber sagt, dass genau das Identität ausmacht. Wenn ich als Priester erkennbar bin, begegnen mir viele Leute, Juden, Muslime, mit einem gewissen Respekt. Warum? Weil mein Gegenüber davon ausgeht, dass wir in Österreich eine gewisse Leichtigkeit entwickelt haben, mit religiösen Dingen umzugehen. Religion gehört bei uns in den privaten Bereich der Familie, ist nichts, was in irgendeiner Weise öffentlich von Relevanz wäre. Man wirft uns in gewisser Weise vor, wir wären säkularisiert in dem Sinne, dass Gott in unserem öffentlichen Leben keine Rolle spielt, und wir befeuern das durch Debatten über Kreuze in öffentlichen Räumen.

Nun sind beide Lebensrealitäten wahrscheinlich keine Idealbilder. Wie kann es funktionieren, dass Gott eine starke Rolle spielt, aber dennoch das Zusammenleben funktioniert?

Wenn es um die Fragen des friedlichen Zusammenlebens geht, übersehen wir zuweilen, dass der Mensch mit einer anderen Kultur auch eine Geschichte hat. Manchmal erfüllt es mich mit Sorge zu sehen, dass wir diejenigen sind, die definieren, wie unser Gegenüber beschaffen zu sein hat, sodass ich mit ihm arbeiten kann, dass ich ihm etwas überstülpe von meiner Meinung. Wir sehen viel zu wenig, dass wir mit einem Weltbild arbeiten, mit dem unser Gegenüber nicht mitkann. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Menschen aus einer völlig anderen Realität und Mentalität kommen. Sie würden unsere Toleranz eher als ein Zeichen von Schwäche sehen. Ein Beispiel: Wir haben im Heiligen Land beinahe 60 verschiedene Kirchengemeinden. Für einen Muslim ist allein schon die Vielzahl unserer christlichen Ausdrucksweisen ein Hinweis darauf, dass diese Religion nicht recht haben kann, sonst würden ja nicht so viele Kirchengemeinschaften existieren, die sich nicht einmal darüber grün sind, woran sie glauben. Diese Uneindeutigkeit lässt uns als sehr undefiniert, sehr unbestimmt, sehr willkürlich erscheinen.

Vorarlberg lässt sich die geltende Einstellung in einer Integrationsvereinbarung unterschreiben. Was wären Ihre Lösungsansätze? Mehr christliche Symbole im öffentlichen Raum, ein stärkeres Betonen des eigenen Glaubens? Ein Zusammenleben muss es irgendwie geben.

Ich glaube, dass wir gut daran täten, die Menschen, die zu uns kommen, mit ihrer Geschichte gelten zu lassen. Für mich ist auch ganz wesentlich zu sagen: Wir haben Gesetze, auf deren Basis unser Staat und unser Zusammenleben funktionieren. Dazu gehört auch, einen deutlichen Unterschied zu machen zwischen jenen, die aus einem berechtigten Asylgrund zu uns kommen und jenen, die Wirtschaftsflüchtlinge sind. Klar ist auch, dass ein Land allein diesen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Wir müssen es schaffen, eine gemeinsame europäische Lösung zu finden. Ich kann nicht nachvollziehen, dass Integration plötzlich so einfach möglich sein soll, indem man Leute eine Erklärung unterschreiben lässt oder in irgendwelche Wertekurse schickt.

Darf man nicht verlangen, dass sich Leute an das halten, was wir unsere Kultur nennen?

Natürlich, die Frage ist nur, wann gilt das für uns als abgeschlossen. Was verstehen wir unter Integration? Ab wann sind wir bereit, jemanden als integriert zu bezeichnen? Muss der Fremde den Erzherzog-Johann-Jodler können, um als integriert zu gelten? Gibt es ein Kriterium dafür? Ich glaube nicht, dass das Unterschreiben eines Dokuments oder das Absitzen von Wertekursen reicht. Denn wie weiß ich, ob er auch bereit ist, das zu leben?

Welche Rolle kann die Kirche bei der Integration spielen?

Ich glaube, es ist Aufgabe des Staates, zu definieren, wie Zuwanderung gehandhabt wird. Erst in einer zweiten Etappe können Hilfsorganisationen auf den Plan treten. Als der Flüchtlingsstrom kam, haben sich Tausende von Menschen eingebracht. In der Zwischenzeit ist die Euphorie der Realität gewichen, und wir tun uns keinen Gefallen, die Probleme nicht beim Namen zu nennen oder so zu tun, als hätten wir es unterschiedslos mit gleichberechtigt hilfsbedürftigen Menschen zu tun. Wir werden uns im Interesse jedes einzelnen Flüchtlings mit seinen Beweggründen befassen und auf Basis einer nüchternen Analyse überlegen müssen, wie wir ihm konkret helfen können. Da wird es auch Situationen geben wo es heißt, dass es aufgrund der geltenden Gesetze eben keinen Grund gibt, im Land zu bleiben. Es muss Grenzen geben, die einzuhalten sind.

Hat sich vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen Ihre Arbeit im Hospiz verändert?

Sie hat sich nicht unbedingt verändert, aber präzisiert. Ich lebe seit 15 Jahren in einer Region, aus der ein Großteil der Menschen in den vergangenen Jahren zu uns geflüchtet ist. Ich habe mich über manche Reaktionsweisen gewundert und mir gedacht, wir werden den Menschen nicht gerecht, indem wir ihnen unser Bild dessen, was sie zu sein haben, überstülpen. Sie hat sich insofern präzisiert, weil ich versuche, diesen Erfahrungswert einzubringen. Jerusalem ist eine Stadt, in der ich die Möglichkeit habe, sowohl muslimische wie auch jüdische Gemeinden vor Ort in ihrem Selbstverständnis kennenzulernen. Da hat schon ein kurzer Besuch einen Mehrwert. Jerusalem ist ein Ort, an dem Menschen einander nicht ausweichen können und Konflikte in gewisser Weise programmiert sind, weil Leute nicht bereit sind, von ihrem Selbstverständnis abzuweichen. Wir müssen jedoch über unseren Tellerrand hinausblicken. Da ist Jerusalem für mich in gewisser Weise das Biotop, wo dieses Lernpotenzial vorhanden ist. Man muss sich nur getrauen, es zu nutzen.

Wie lassen sich Ihre Erfahrungen in der österreichischen Kirche verankern?

Indem ich Einladungen zu Gesprächen und Interviews annehme und nach Möglichkeit davon erzähle. Ich merke allerdings: Ich kann viel erzählen, man nickt es ab und geht mit seiner eigenen Meinung wieder hinaus. Einen ganz wesentlichen Unterschied macht es, wenn man vor Ort bereit ist, in diese Aura einzutauchen. Man muss bei einem solchen Besuch jedoch bereit sein, die Scheuklappen abzulegen. Unsere Hauptaufgabe als Hospiz ist und bleibt die Pilgerbetreuung. Wir können aber Akzente setzen, indem wir unser Kulturprogramm für andere Kulturen öffnen. Zwischen 60.000 und 80.000 Gäste frequentieren das Haus jährlich. Da lassen sich schon Themen positionieren. Der Besuch vor Ort ist es, der den entscheidenden Unterschied ausmachen kann.

Was erwarten Sie für die Osterfeiertage?

Wir haben dieses Jahr eine besondere Situation, weil die verschiedenen Ostertermine zusammenfallen. Das ist wichtig im interreligiösen Dialog. Da wirkt man wieder eine Runde glaubwürdiger, wenn wir als Christenheit nicht getrennt feiern. Für uns heißt das mehr Gäste und Arbeit. Heuer kommt noch dazu, dass die renovierte Grabkapelle in der Grabeskirche wieder frei zugänglich ist. Das wird zu Ostern ein ganz wichtiges Thema sein. Ich möchte sogar von einem Meilenstein sprechen.

Warum das?

Weil es Leute, die ansonsten nur freundlich zueinander sind, tatsächlich geschafft haben, ein gemeinsames Projekt umzusetzen, das nicht nur für uns in der Stadt, sondern für die gesamte Christenheit von enormer Bedeutung ist.

Wie geht es eigentlich dem Christentum im Heiligen Land?

Wir sind 1,6 Prozent Christen, die sich auf viele Kirchengemeinden verteilen. Aber in absoluten Zahlen ist die Christengemeinde nicht kleiner geworden, sondern eher gewachsen. Es stimmt natürlich, dass viele Menschen, die es sich leisten können, das Land verlassen. Aber wir haben ein Spektrum an Christen, das gesamt gesehen doch viel bedeutender geworden ist. Es gibt einerseits die palästinensischen Christen und andererseits eine sehr große Gruppe an Gastarbeitern im Heiligen Land, die aus asiatischen Ländern kommen, und die durch die Bank Christen sind. Wir haben außerdem eine große Gruppe von Einwanderern aus den ehemaligen russischen Ländern, und wir haben vor Ort auch Christengemeinden im messianischen Judentum. Das heißt, das Erscheinungsbild von Christen und Kirche verändert sich stark. Wir wissen jedoch heute noch nicht, wie dieses Bild in Zukunft aussehen wird.

In absoluten Zahlen ist die Christengemeinde nicht kleiner ­ geworden, ­sondern eher gewachsen.

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