Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Frankreich

Vorarlberg / 27.04.2017 • 19:01 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Nach der ersten Runde der Präsidentenwahl in Frankreich ist wieder vom altbekannten Stadt-Land-Konflikt die Rede. In den ländlichen Regionen hat die als rechtsextrem eingeschätzte Kandidatin Marine Le Pen unverhältnismäßig große Unterstützung erfahren, während sie etwa in Paris chancenlos war. Wieder einmal, wie schon bei der Wahl Donald Trumps und auch bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl wird darüber gerätselt, weshalb das Land für populistische Agitation empfänglicher ist als die Stadt.

Im Falle Frankreichs ist der Befund eigentlich klar: Dieser Staat erstickt an seinem Zentralismus. Die wirtschaftliche Bilanz fällt insbesondere gegenüber dem großen Nachbarn Deutschland verheerend aus. Gerade die ländlichen Regionen sind ökonomisch rückständig, weil sie keine eigenen Gestaltungsfähigkeiten haben und von Paris abhängig sind. Die Infrastrukturen von der Gesundheit über die Straßen bis zur Bildung sind in einem deutlich schlechteren Zustand als in der weit entfernten Zentrale. In dieser Situation fallen populistische Heilsversprechen natürlich auf fruchtbaren Boden.

Spitzenfunktionen in der Staatsverwaltung werden in der Praxis von Absolventen der Eliteakademie ENA eingenommen. Daran hat sich in den letzten Jahrzehnten, welche politische Partei auch immer die Führung innehatte, nichts geändert. Dass die ENA in Straßburg angesiedelt ist, ist einer der wenigen Dezentralisierungserfolge der letzten Jahrzehnte. Selbstverständlich ist auch der Wahlsieger der ersten Runde und vermutliche neue Präsident Emmanuel Macron ein Absolvent dieser Einrichtung.

Die europäische Öffentlichkeit freut sich darüber, dass (vermutlich) ein Pro-Europäer den Staat lenken wird. Ob Macron erkannt hat, dass er zunächst die strukturellen Probleme Frankreichs lösen muss? Man darf zweifeln, ob ein Politiker, der an einer noch immer zentralistisch ausgerichteten Hochschule gelernt und in einem zentralistischen Apparat gearbeitet hat, den Mut hat, zu neuen Wegen aufzubrechen. Dass er die eindeutig bessere Alternative als seine Konkurrentin ist, reicht eben nicht.

Der Stadt-Land-Konflikt wird in Österreich und Frankreich nicht dadurch behoben, dass das Wahlverhalten der Landbevölkerung von der urbanen Elite abschätzig mit intellektueller Rückständigkeit erklärt wird. Vielmehr sollten alle Kräfte darauf ausgerichtet sein, eine ausgewogene Entwicklung aller Regionen zu ermöglichen. Das kann man am besten dadurch erreichen, dass man den Regionen eigene Gestaltungsfähigkeit überlässt und nicht alle wichtigen Verwaltungs- und Bildungseinrichtungen in der Bundeshauptstadt konzentriert.

Die europäische Öffentlichkeit freut sich darüber, dass ein Pro-Europäer den Staat lenken wird.

peter.bussjaeger@vn.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.

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