Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Die grüne Pleite

Vorarlberg / 22.10.2017 • 19:25 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Welches Thema dominiert die innenpolitische Berichterstattung? Sebastian Kurz, der es gerade auf die Titelseite des „Spiegel“ (Österreichausgabe) geschafft hat ? (Auffallend, nebenbei, dass Österreich immer dann internationale Aufmerksamkeit genießt, wenn von Rechtsruck die Rede ist). Nein. Die SPÖ und ihre immer stärker zutage tretenden Flügelkämpfe mitsamt den momentan schon fast peinlichen Versuchen ihrer Gewerkschafter, vielleicht doch noch in die Regierung zu kommen? Nein. Es ist die Pleite der Grünen. Deren Spitze war am Wahlsonntag wie paralysiert. Kein Wort über eigene Fehler. Die ersten Rücktritte gab es dann zwei Tage später. Obfrau Felipe hat erst jetzt erkannt, dass sich eine Bundespartei nicht von Tirol aus führen lässt, Ulrike Lunacek trat zwar zurück und kehrt auch nicht ins EU-Parlament zurück (Respekt!), hat aber noch immer keine klaren Worte für das Debakel gefunden. Harald Walser hat ihr, via Twitter, bescheinigt: „Das nenne ich Stil, obwohl sie am wenigsten Schuld am Wahldesaster hat. Hätte ich mir von anderen gewünscht.“ Meint er etwa die Wiener Vizebürgermeisterin Vassilakou, die trotz eines Verlusts von zwei Dritteln der Stimmen in der grünen Hochburg von null Einsicht angekränkelt ist und sich für Führungsaufgaben andient? Immerhin übt jetzt der grüne Interimschef Werner Kogler in vielen Interviews Selbstkritik. Eine Auswahl: „Wir Grüne sind selber schuld. Wir haben in einem historischen Moment total versagt. Es war fatal, dass Pilz nicht auf den vierten Platz gewählt wurde, wir hätten so weise sein müssen, einen Beitrag zu leisten, dass Pilz gewählt wird.“ Beim mitwahlentscheidenden Migrationsthema (fast der markanteste Unterschied zum erfolgreichen Pilz!) zögert er noch und meint, dass kaum jemand das grüne Einwanderungskonzept kenne.

Die grüne Spitze wäre gut beraten, sich an das Urteil ihrer Altvorderen zu halten, etwa von Johannes Voggenhuber: „Viele Jahre habt ihr die Gewitterwolken nicht wahrnehmen wollen, das Donnergrollen mit buntlustigen, infantilen Events, von Plakatwänden blökenden Lämmern und Sprechblasen übertönt und habt das Wetterleuchten einfach geleugnet. Viele Jahre schon seid ihr gegen jegliche Kritik resistent.“ (orf.at) Der frühere grüne Gesundheitssprecher Kurt Grünewald pflichtet ihm bei und wundert sich (im „Standard“), dass jetzt die grüne Spitze und Basis aus allen Wolken fallen: „Da frage ich mich schon, ob nicht einige dieser Leute den Instinkt hätten haben müssen, diese Trendwende irgendwie zu erkennen.“

Vorarlbergs Altgrünen muss das Debakel wie ein Aha-Erlebnis vorkommen. Als die einst vereinten Grünen, 1989, in Vorarlberg getrennt angetreten sind, flogen die einen aus dem Landtag, die anderen kamen gerade noch hinein. Wie sich die Bilder gleichen! Die Grünen werden jetzt ihren Scherbenhaufen aufräumen, inklusive der fünf Millionen Schulden, und sich dann auf ihre Kernthemen besinnen müssen. Vom Klimawandel bis zu Glyphosat liegen ureigenste grüne Themen geradezu am Serviertablett. Irgendwann wird man sich auch mit Peter Pilz versöhnen (müssen). Dazu wird es eine Integrationsfigur brauchen. Vorarlbergs Grüne wurden erst dann wieder erfolgreich, als es Johannes Rauch gelungen war, die verschiedenen Strömungen unter einen Hut zu bringen.

„Vorarlbergs Altgrünen muss das Debakel wie ein Aha-Erlebnis vorkommen.“

Wolfgang
Burtscher

wolfgang.burtscher@vn.at

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.