Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Flüstern

Vorarlberg / 31.10.2017 • 20:26 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Kennen Sie das? Sie stehen ein paar Schritte von zwei Menschen entfernt, die flüstern. Sie flüstern sich ins Ohr und schauen dabei mich an. Ich kenne die beiden Frauen nicht. Müsste ich sie kennen, von früher vielleicht? Nein, kann mich nicht erinnern. Ich durchforstete meine Vergangenheit. Die eine vielleicht, die mit dem Schönheitsfleck über den Lippen.

Nein, die müsste so alt sein wie ich, und die hier war dreißig, maximal vierzig.

Also Einbildung. Alles Einbildung. Aber die Art, wie die beiden Frauen dastanden, die eine, die flüsterte, die andere, die zuhörte. Nein, ich habe keine Paranoia.

Als ich dreißig war, lebte ich mit meinen Kindern in Berlin, in einer Straße mit schäbigen Häusern. Wir kannten niemanden, uns kannte niemand. Die Kinder waren noch klein. An einem kalten Tag klingelte es an der Tür und ein Mann mit einem Heizgerät unterm Arm stand vor mir. Er wolle mir diesen Ofen schenken, er beobachte mich schon über einen Monat und wisse, dass ich mit zwei Kindern hier untergebracht sei.

„Untergebracht?“, fragte ich. „Niemand hat mich untergebracht, ich habe diese Wohnung gemietet.“

„Aber Sie frieren doch! Ich weiß das, weil ich selber in so einem Haus wohne.“

Er stand schon im Flur, die Kinder kamen angerannt und schauten zu ihm hoch.

„Brauchen Sie Geld?“, fragte er.

Ich hätte Geld gebraucht, dringend, aber ich schüttelte den Kopf und sagte, mein Mann würde jeden Augenblick kommen, ich bitte ihn also, zu gehen.

„Sie haben keinen Mann“, sagte er, „das weiß ich.“

Er betrat das einzige Zimmer und ließ sich in den Lehnstuhl fallen.

„Aber jetzt haben Sie einen Mann“, und er lächelte mich an.

„Bitte“, sagte ich „ich kann die Polizei holen.“

„Warum sollten Sie die Polizei holen?“, sagte er. „Es ging Ihnen schlecht, Ihre Kinder hatten Hunger, und ab jetzt wird es Ihnen gut gehen.“ Er zog ein Bündel Geldscheine aus seiner Tasche und gab einen davon meinem Sohn, der noch kein Schulkind war.

„Geh in die Konditorei“, sagte er, „und kaufe, was du willst für deine Schwester und deine Mutter, und mir kannst du einen Berliner bringen.“

Ich zwinkerte meinem Sohn zu, ich wusste er war klug und würde uns retten. Er zog seine Gummistiefel an, und ich hörte ihn die Treppen hinunterspringen. Bald darauf kam er mit zwei Frauen. Sie standen an der Tür und die eine flüsterte der anderen ins Ohr.

Es war schwarz im Zimmer, ich griff auf meine Bettdecke und wusste, das alles hatte ich geträumt.

„Ich kenne die beiden Frauen nicht. Müsste ich sie kennen, von früher vielleicht?“

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.