„Ich schäme mich für mein Land“

Eine Afghanin über ihr altes Leben und über ihr neues in Freiheit.
Bludesch. Laila Hosseini (23) wäre gerne als Bübchen zur Welt gekommen. „Ich habe mir immer gewünscht, ein Mann zu sein. Denn der ist frei und kann alles machen.“ Ihr Radius hingegen war über viele Jahre begrenzt. Laila wurde in Kabul geboren. Sie verbrachte ihre ersten elf Lebensjahre in Afghanistan. „Ich war als Kind immer zu Hause“, erinnert sich Laila. Ihre Brüder hingegen durften zum Spielen hinaus ins Freie. Sie aber wusste: „Draußen ist es gefährlich. Wenn ich rausgehe, kann alles passieren. Dann kann ich entführt, vergewaltigt oder getötet werden.“ Das Kind fühlte sich nicht eingesperrt. Es kannte ja nichts anderes. „Vielmehr dachte ich mir: ,Ich bin ein Mädchen und muss zu Hause bleiben.‘“
Frauen mit abgeschnittenen Ohren
Eine Schule hat die Afghanin, der eine Nachbarin rudimentär Lesen und Schreiben beibrachte, nie besucht. „Papa meinte: ,Ein Mädchen braucht keine Bildung.‘“ Laila verstand. Um zu heiraten, Kinder zu bekommen, zu putzen und zu kochen, muss man nichts wissen.
Laut der Muslimin werden Mädchen in ihrem Heimatland oft schon mit zehn Jahren verehelicht. Der Ehemann wird vom Vater ausgesucht. „Ein Mädchen darf nicht selbst entscheiden, wen es heiratet.“ Nachsatz: „Alte, grauhaarige Männer heiraten kleine Mädchen.“
Von klein auf wurde Laila beigebracht, dass Männer immer recht haben. „Ich durfte meinen Brüdern nicht widersprechen und als Mädchen nicht meine Meinung sagen.“ Laila sah Frauen, deren Nasen oder Ohren abgeschnitten waren. „Die sind ungehorsam gewesen.“ Sie bekam auch mit, dass Frauen gegen Esel eingetauscht wurden. „Ich schäme mich für mein Land.“ Wenn Gäste auf Besuch kamen, schickte sie ihr Vater in die Küche. „Ich durfte nicht mit den Gästen reden.“
Als sie elf war, starben ihre Eltern bei einem Bombenangriff in Kabul. Daraufhin kümmerte sich ein Onkel um Laila und ihre vier Geschwister. „Er lebte im Iran und holte uns zu sich.“ Aber auch dort fühlte sie sich nicht frei. „Bis 15 war ich nur zu Hause.“ Dann lernte sie den Friseurberuf. „Ich arbeitete zwei Jahre in einem Salon.“ Der Job gefiel ihr, vor allem der Kontakt mit Menschen erfreute ihr Herz. Aber genau das missfiel ihrem Onkel. Er zwang sie, als Näherin zu arbeiten. Später suchte er ihr den Ehemann aus. „Als ich Mahdi zum ersten Mal sah, dachte ich mir: Glück gehabt. Er ist okay und nicht alt.“
Weil sich Leilas Ehemann illegal im Iran aufhielt und ständig befürchten musste, nach Afghanistan abgeschoben zu werden, flüchtete das Ehepaar im Jahr 2014 nach Österreich. Inzwischen leben Laila und Mahdi, die auf einen positiven Asylbescheid warten, im Flüchtlingsheim Gaisbühel. Sie haben eine zweijährige Tochter. Fatima war ein Wunschkind. „Ich wollte immer ein Kind, aber nicht mehr als eines“, sagt die Asylwerberin. Und: „In Afghanistan haben Frauen zehn, elf Kinder.“ Laila gibt zu, dass sie lieber einen Sohn geboren hätte. „Ich liebe meine Tochter. Aber ich denke, ein Sohn ist frei.“ Sie überlegt kurz. Dann will sie etwas richtigstellen: „Hier ist auch meine Tochter frei. Sie kann studieren, obwohl sie ein Mädchen ist. Die Frauen in Österreich haben Glück.“
Dass hier Männer und Frauen gleich sind, färbt auch auf Laila und ihre Partnerschaft ab. „Ich muss meinem Mann nicht gehorchen und darf meine eigene Meinung haben. Ich kann selbst über alles entscheiden.“ Sie rechnet es ihrem Ehemann hoch an, dass er auf die Tochter aufpasst, wenn sie den Deutschkurs besucht. „In Afghanistan kümmert sich kein Mann um die Kinder.“
Jeans statt Tschador
Laila genießt ihre neue Freiheit. Es war ein aufregendes Erlebnis für sie, als sie zum ersten Mal allein in den Supermarkt einkaufen ging. „In meinem Heimatland dürfen Frauen nirgends allein hingehen.“ Überschwänglich berichtet sie auch, wie sie hier zum ersten Mal mit einem Fahrrad fuhr. „Da hatte ich das Gefühl, dass ich wirklich frei bin.“ Auch die Tatsache, dass sie keinen Tschador mehr tragen muss und ungeniert in Jeans herumlaufen kann, trägt dazu bei, dass sie sich nicht mehr wie ein Vogel in einem Käfig fühlt.
Nachdenklich rückt sie ihr Kopftuch zurecht. Dann meint sie: „Ich hatte in meinem Leben viel Angst und Stress. Deshalb habe ich in diesem Land Schutz gesucht.“ Hier fühlt sich Laila sicher. Nur eine Angst plagt sie noch. „Ich hoffe nicht, dass man uns nach Afghanistan abschiebt“, sagt sie und jetzt schießen Tränen aus ihren Augen. Die junge Frau findet aber ihre Fassung schnell wieder. „Wenn ich einen positiven Asylbescheid bekomme, werde ich als erstes den Führerschein machen. Und dann möchte ich als Friseurin arbeiten“, sieht sie der Zukunft hoffnungsfroh entgegen.
„In Afghanistan heiraten alte, grauhaarige Männer kleine Mädchen.“