„Nur Vielfalt bringt Entwicklung“

Hochdekorierte Schulleiterin kann auf große Erfolge ihrer gemeinsamen Schule verweisen.
Bregenz Die spannenden und unterhaltsamen Vorträge von Michael Winterhoff, Gunter Dueck, Andreas Salcher und Angelika Knies hatten mehrere Hundert Pädagogen ins Bregenzer Festspielhaus gelockt. Die VN baten Knies am Rande der Veranstaltung zum Interview.
Was sind die Vorteile von Heterogenität für schulischen und vielleicht auch beruflichen Erfolg?
Knies Es gelingt in einem heterogenen Umfeld besser, die Stärken eines jeden Einzelnen hervorzubringen. Es ist die Vielfalt, in der für die Gesellschaft etwas vorangeht. Das bewerkstelligen nicht jene, die man in einförmige Töpfe gesteckt hat. Sondern jene, die kreativ und selbstwirksam sind und dadurch auch eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit erlangt haben.
Wie ist das soziale Umfeld ihrer gemeinschaftlichen Schule, mit der sie 2013 den deutschen Schulpreis gewonnen haben?
Knies Wir sind im Hamburger Umland, man nennt es auch Hamburger Speckgürtel. Die Einkommensverhältnisse sind im Durchschnitt schon etwas höher. Das heißt aber auch: Es ist eine ganz bunt gemischte Bevölkerung. Wir haben unlängst zahlreiche Geflüchtete bekommen, wir haben auch viele Aussiedler als Zuwanderer bei uns. Circa ein Viertel der Bevölkerung hat einen migrantischen Hintergrund.
Was sind für Sie die Eckpfeiler einer gelingenden Schulbildung?
Knies Da sind wir wieder bei den Stärken. Dort muss man ansetzen. Man muss die Schüler wertschätzen, mit ihnen auf Augenhöhe arbeiten. Man muss sie in ihrer Selbstwirksamkeit unterstützen. Wir wundern uns ja häufig darüber, was Schüler alles können. Sie können Sachen, die wir ihnen nicht zugetraut haben. So ging mir das jedenfalls am Anfang meiner Lehrerkarriere. Wir versuchen, die Schüler in ihrer Persönlichkeit zu stärken, sodass sie das Optimale aus sich machen können. Und das muss nicht für alle das Abitur sein.
Schwächere besser machen, Hochbegabte fördern: Wie gelingt Ihnen das?
Knies Wir haben Schüler vom Rand der geistigen Behinderung bis zu solchen mit einem zertifizierten IQ von 150. Die darf man nicht einfach in homogene Gruppen aufteilen. Sich dafür einzusetzen, war in den Anfängen unserer Schule nicht einfach. Der politische Widerstand zu Zeiten von Barschel und Engholm war groß. Damals bin ich öfters an einem Plakat mit geklonten kleinen Kirpsen, die traurig dreinschauten, vorbeigefahren. Und da stand: ‚Gegen die Einheitsschule.‘ Das empfand ich als absurd. Weil die Einheitsschule ja die ist, die meint, sie sei nur für bestimmte Schüler zuständig. Wer da drunter steht, hat dort nichts zu suchen, wer darüber steht, den soll man auf das vorgegebene Niveau runter holen. Wir versuchen, eine Schule für jene Schüler zu machen, die da sind.
Wo sollen sich Schüler auf ähnlichem Niveau treffen dürfen, wo sollte man alle Leistungsklassen zusammenführen – Stichwort innere Differenzierung?
Knies Wir ermöglichen leistungsstarken Schülern sogenannte „Enrichment-Ausstiege“. Das heißt: Sie können gemeinsam in Projekten etwas entwickeln. Wenn ich in Forschungsmöglichkeiten hineinkomme, dann spricht das besonders leistungsstarke Schüler an. Die führen ein Projekt durch und präsentieren es nach Abschluss dann allen. Wir lassen Schüler auch eine Klasse überspringen. Ich brauche offene Aufgabenstellungen, die sich in sich selber differenzieren. Dann steigt jemand, der mehr Spaß hat, stärker ein als andere. Das muss aber gar nicht immer der grundsätzlich Leistungsstärkere sein.
Warum sollen Schülerinnen und Schüler von der Grundschule weg möglichst lange zusammenbleiben?
Knies Weil sie dann voneinander lernen können. Ich halte überhaupt nichts von Inzuchtbetrieben. Wenn ich als Lehrkraft einer heterogenen Gruppe gegenüberstehe, muss ich mir überlegen, ob das, was ich unterrichte, für die Schülerschaft passt und ob ich so weitermachen kann. Je länger ich mit Schülern zusammen bin, desto besser ist meine Beziehung zu den Schülern.
Zur Person
Angelika Knies
Knies leitet seit Beginn die 1990 gegründete dreizügige Integrierte Gesamtschule Bargteheide in Schleswig- Holstein mit gymnasialer Oberstufe und gebundener Ganztagsschule. Knies ist ausgebildete Gymnasiallehrerin für Chemie und Biologie und stammt aus dem Saarland. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne.