Mamatschi
Jeder kennt das Lied, zumindest die in meinem Alter. Hörte man es, lief einem ein Schauder über den Rücken, die Härchen stellten sich auf, und im Geheimen war man getroffen. Keinesfalls durfte man das zugeben, schließlich war es purer Kitsch. Ich kann mich erinnern, ich war ein Kind, und eine Tante mit sehr schöner Stimme sang mir das Lied vor. Ich war noch nicht in der Schule. Ich wollte, dass sie es mir immer wieder vorsingt:
„Mamatschi, schenk mir doch ein Pferdchen, ein Pferdchen wär mein Paradies …
… darauf bekam der kleine Mann ein Schimmelpaar aus Marzipan,
die sieht er an, er weint und spricht,
nein solche Pferde wollt ich nicht …“
Ich sang das Lied nach, immer und immer wieder. Da hörte ich es einmal im Radio, vorgetragen von Heintje, und wie auf den Knopf gedrückt, passierte die Gemütsattacke. Die Art, wie er sang, bombardierte mich.
„… auf einem Tische standen stolz vier Pferde aus lackiertem Holz,
die sieht er an, er weint und spricht,
nein, solche Pferde wollt ich nicht …“
Wie Lieder verschwinden, so verschwand auch dieses Lied, und auf meiner allertraurigsten Beerdigung traf es mich erneut.
„… vier Pferde reich geschmückt und schön,
die holten ab mein …“
Ich bin kein sentimentaler Mensch, aber auch nicht gefeit vor Gefühlsschüssen. Verletzt wundere ich mich und wende mich der Vernunft zu.
Kann man sich der Vernunft zuwenden? Man kann versuchen, sich zu zwingen, vernünftig zu sein. Ich teste mich und höre mir das Lied auf YouTube an. Und wieder reagiert mein Gefühl. Ich höre mir das ganze Lied an, sicher zehn Mal hintereinander, wie um es mir abzugewöhnen. Mein Sohn kann sich nur darüber wundern. Ich sehe das Gesicht des Buben Heintje und höre seinen leicht holländischen Akzent. Er wurde in der Zeit des Kalten Krieges geboren.
Der Mann, der jetzt über sechzig ist, er erzählt in einem Video: „Ich begann meine Karriere mit elf, und als ich auf sechzehn zuging, bewegte eine ganze Nation die Frage, was passiert, wenn ich in den Stimmbruch komme. Sie machten mich ganz verrückt mit dieser Frage, und ich wurde ängstlich. Ich habe alles gut überstanden und Witwen und Omas lieben mich immer noch.“
Heintje war ein Wirtschaftsfaktor, hat eine Plattenfirma vor dem Ruin bewahrt, sie sehr reich gemacht, hat seine Lieder überall auf der Welt gesungen. „Das hat gepasst, weil Mamas gibt es überall.“
So einfach ist das.
„Heintje war ein Wirtschaftsfaktor, hat eine Plattenfirma vor dem Ruin bewahrt, sie sehr reich gemacht.“
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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