Türkis/Schwarz, wie CDU/CSU
Die eine Volkspartei namens ÖVP gibt es nicht. Man muss vielmehr von Volksparteien sprechen: Auf Bundesebene handelt es sich um eine türkise Bewegung, die sich allein um Sebastian Kurz dreht. In den Ländern dagegen war die Vielfalt schon immer unübersehbar. Die Tiroler wollen ihre „große Eigenständigkeit“ demonstrieren und schwarz bleiben, die Steirer orientieren sich an den Landesfarben und sind grün, die Niederösterreicher tun dies ebenfalls und präsentieren sich blau-gelb. Gelb ist in ihrem Außenauftritt ein Stück weit auch die Vorarlberger Volkspartei. Nicht türkis.
Man sieht: Die ÖVP gibt’s in zehn verschiedenen Varianten. Wobei es da nun eben eine entscheidende Weiterentwicklung gegeben hat: Die Bundesorganisation repräsentierte bisher den kleinsten gemeinsamen Nenner der neun Landesorganisationen. Was ihre extreme Schwäche auch schon erklärte. Jetzt ist die Bundespartei von den neun Landesorganisationen quasi entlassen worden; Kurz darf mit ihr machen, was er will.
Um sich diese Volksparteien in ihrer Gesamtheit besser vorstellen zu können, vergleicht man sie am besten mit einem deutschen Modell: Türkis/Schwarz ist wie CDU/CSU, nur dass Türkis „Bund“ und Schwarz im Wesentlichen „Länder“ bedeutet.
Bis das im Selbstbewusstsein aller Akteure angekommen ist, wird es allerdings noch dauern. ÖVP-Ländervertreter ärgern sich zurzeit beispielsweise, dass „ihr“ Sebastian Kurz eine Debatte über die Zusammenlegung von Krankenkassen zulässt. Den einen oder anderen stört, dass die gemeinsame Schule abgewürgt werden könnte. Vorarlbergs LH Markus Wallner bedauerte wiederum, dass Kurz nicht Landsmann Karlheinz Kopf, sondern seine Vertraute Elisabeth Köstinger zur Nationalratspräsidentin küren ließ. Wissend aber, dass das halt den neuen Verhältnissen entspricht, nahm er es letztlich zur Kenntnis. Was AK-Direktor Rainer Keckeis auf dem Kurznachrichtendienst Twitter so kommentierte: „Köstingers Wahl war auch eine Ohrfeige für Landeshauptmann Wallner. Hier nimmt er kleinlaut hin, dass trotz einem weitaus besseren Vorarlberger Kandidaten eine bisher nicht durch Leistungen aufgefallene Kurzjüngerin mit einem der höchsten Ämter dieser Republik versorgt wird.“ Das ist bemerkenswert: Keckeis ist nebenbei ÖVP-Funktionär.
Aus regionaler Sicht hat das CDU/CSU-Modell für die dortigen Volksparteien ein paar Nach-, aber auch Vorteile: Die Zeiten, in denen der Bundesobmann nur Befehlsempfänger war, sind vorbei. Wallner und Co. haben selbst entschieden, dass er nun freie Hand hat. Eher müssen sie künftig also seine Direktiven schlucken. Andererseits aber ermöglicht ihnen das viel stärker als bisher, keine Rücksicht auf „Wien“ zu nehmen. Und im Fall des Falles zur Profilierung vor den eigenen Bürgern auch ganz offen dagegen zu protestieren. Zumindest in der Vergangenheit hat die deutsche CSU ein solches Doppelspiel gegenüber der CDU, die in Berlin den Kanzler oder die Kanzlerin stellte, mit Erfolg betrieben. Wie auch immer: Für die Volksparteien handelt es sich um eine Gratwanderung. Mitspielen müssen letztlich nämlich immer die Wähler.
„Die ÖVP gibt’s in zehn verschiedenen Varianten.“
Johannes Huber
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Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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