„Profane Gründe machen Menschen zu Mördern“

Terrorismus aus forensisch-psychiatrischer Sicht.
schwarzach Die Psychiaterin und ärztliche Direktorin am LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie in Lippstadt zeigt in ihrem Buch „Ich bring dich um“, warum Menschen radikal und zu Mördern werden.
Sind junge Männer, die mit Lastwagen in Menschenmengen rasen und Passanten die Kehle durchschneiden oder in die Menge schießen, „verrückt“ bzw. psychisch krank?
Saimeh Diese Menschen sind nicht krank. Terrorismus ist keine Krankheit, Terror ist eine Methode, Gesellschaften zu destabilisieren. Aber auch wenn Terror kein medizinisches Problem ist: Als forensische Psychiaterin befasse ich mich immer mit dem einzelnen Täter. Ich kann auch zur Risikoanalyse beitragen, das heißt eine Prognose abgeben in Bezug auf seine Gefährlichkeit. Außerdem kann ich erklären, warum sich Menschen radikalisieren und aus welchen Motiven ein Täter handelt.
Warum werden Menschen radikal?
Saimeh Radikale Ideologien haben einfache Antworten parat. Sie teilen die Welt in schwarz und weiß ein, gut und böse, falsch und richtig. Es gibt keine Vielschichtigkeit und genau darin liegt ein Reiz der Radikalisierung. Sie vermindert die Komplexität der Gesellschaft. Manche überfordert deren Widersprüchlichkeit. Ihnen gibt eine radikale Ideologie Stabilität und Orientierung. Aber auch Menschen, die von Gewalt fasziniert und auch gewalttätig sind, werden von Ideologien angezogen, die Kampfbereitschaft betonen. Sie können so ihre Gewalt legitimieren.
IS-Terroristen zum Beispiel sehen sich als Vollstrecker des göttlichen Willens auf Erden und rechtfertigen so ihren eigenen Terror.
Saimeh Wenn man sich auf einen „göttlichen Willen“ bezieht, verschafft man sich absolute Legitimation. Alles, was ich tue, ist absolut richtig, alles andere falsch. Damit lässt sich Religion entsprechend missbrauchen, obwohl sie ja eigentlich den Wert des Menschen betont.
Gibt es eine Erklärung dafür, warum Terroristen meistens jung sind?
Saimeh Junge Männer zwischen 15 und 35 sind die Hauptrisikogruppe für Gewalttätigkeit. Junge Menschen lassen sich eher für gefährliche Ideologien begeistern, denn sie sind auf Orientierungssuche und noch nicht gefestigt. Wenn dann Leute mit einfachen Formeln und mit dem Versprechen des Auserwähltseins kommen, ist die Verführung groß.
Als forensische Psychiaterin behandeln und begutachten Sie psychisch kranke Straftäter. Ihr Auftrag ist es, durch die Behandlung die Gefährlichkeit des Straftäters zu reduzieren und ihn wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Wie viele Verbrecher haben Sie schon behandelt? Und wie hoch ist die Erfolgsquote?
Saimeh Ich habe mit mehr als 1000 Tätern gesprochen. Wir können psychische Erkrankungen gut behandeln. Die Erfolgsquote ist extrem hoch. 95 Prozent der entlassenen Straftäter werden nicht mehr rückfällig. Fünf Prozent werden rückfällig, aber nicht mehr mit schweren Straftaten.
Forensische Psychiater wie Sie tragen auch dazu bei, dass die Gesellschaft vor gefährlichen Rückfalltätern geschützt wird, indem Sie sie langfristig in Hochsicherheitskrankenhäusern unterbringen. Haben Mörder bestimmte Eigenschaften?
Saimeh Das kommt auf die Hintergründe an. Menschen mit einer Schizophrenie töten aus einem Wahn heraus. Schwerkriminelle Menschen haben häufig psychopathische Eigenschaften, das heißt sie sind besonders empathielos, egozentrisch, geltungsbedürftig und rücksichtslos. Das scheint ein Stück weit Anlage zu sein. Psychopathen haben ganz wenig Angst und sind gegenüber Strafen unempfindlich. Manche kommen aus unauffälligen Elternhäusern. In Bezug auf Radikalisierung sind sie oft eher Anführer. Psychopathen sind schwer behandelbar. Nicht jeden Straftäter kann man durch Psychotherapie bessern.
Haben Sie sich in Ihrer Beurteilung schon einmal geirrt?
Saimeh Nein, glücklicherweise noch nie. Gebe Gott, dass mir das erspart bleibt. Zwei Täter, die ich begutachtet und deren Gefährlichkeit und Rückfallrisiko ich als groß eingeschätzt habe, wurden aus juristischen Gründen entlassen. Und tatsächlich haben sie erneut schwere Verbrechen begangen.
Was macht Menschen Ihrer Erfahrung nach zu Mördern?
Saimeh Meine Erfahrung zeigt mir, dass es meist ganz profane Gründe sind, die aus Menschen Mörder machen: Eifersucht, Hass, Einsamkeit, Habgier, Rache. Gefühle also, die uns allgemein menschlich bekannt sind. Fast immer ist es die emotionale Qualität der mitmenschlichen Beziehungen, die für die Entwicklung der Persönlichkeit mitsamt ihrer späteren Kriminalität eine Rolle spielt. Alle Taten sind also im Grunde zutiefst menschlich. Es sind eben nicht Verhaltensweisen von „Monstern“ und „Bestien“. Genau das macht die Taten in Wahrheit so bedrückend. VN-kum

Der für heute geplante Vortrag mit Buchautorin Dr. Nahlah Saimeh im Bildungshaus St. Arbogast musste aus Krankheitsgründen abgesagt werden.