Ins Abseits geschlittert

Ein erfolgreiches Ehepaar geriet beruflich und gesellschaftlich ins Abseits.
Dornbirn. Sie waren einmal in die Gesellschaft integriert. Aber das ist schon eine Weile her. Wenn man wie Maria* und Werner* seit Jahren keinen Job hat oder zu krank ist, um arbeiten gehen zu können, fühlt man sich ausgeschlossen und von Teilen der Gesellschaft geächtet. Das Ehepaar würde sich deshalb für jeden ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 Euro pro Monat wünschen. So aber müssen sie jeden Tag um ein würdevolles Leben und eine menschenwürdige Behandlung kämpfen. Maria lebt von der Notstandshilfe, ihr Mann bezieht die Mindestsicherung. Zusammen stehen ihnen monatlich 1500 Euro zur Verfügung. 900 Euro gehen für die Mietwohnung weg. Mit den restlichen 600 Euro muss das Paar einen Monat auskommen.
„Hatte ein reiches Leben“
„Man wird bescheiden und lebt einfach“, versucht Maria ihr jetziges Leben zu beschreiben. Die Kleidung kaufen die beiden im Secondhandshop oder auf Flohmärkten, die Lebensmittel in Deutschland, weil sie dort billiger sind. Für den Friseur müssen sie kein Geld ausgeben, weil ihnen eine Freundin die Haare schneidet. „Es ist vieles nicht möglich“, möchte die 58-Jährige aufzeigen, dass Unternehmungen wie Theater-, Konzert-, Kino- oder Kaffeehausbesuche im Budget nicht drinnen sind. Probleme bereiten ihnen Sonderausgaben. „Wenn der Kaminkehrer kommt oder die Gasheizung gewartet werden muss, ist das für uns nicht erfreulich.“ Maria hat aber die Erfahrung gemacht, „dass das Leben mir über andere Menschen genau das gibt, was ich brauche, damit ich leben kann“. Überhaupt fühlt sie sich vom Leben beschenkt. „Ich hatte ein reiches Leben, habe viel erlebt und durfte mich weiterentwickeln.“ Nach dem Abschluss der Handelsschule legte die Vorarlbergerin eine Bilderbuchkarriere hin. Sie arbeitete sich bei Banken hoch und bekam immer mehr Verantwortung übertragen. „Aber je höher ich kam, desto größer wurde der Erfolgsdruck.“ Doch das war nicht der Grund, warum die damals 33-Jährige kündigte und die Bankenbranche hinter sich ließ. „Die Bank vergab Kredite an Menschen, bei denen klar war, dass sie sie nicht zurückzahlen können. Nicht mehr das Bedürfnis des Kunden stand im Vordergrund, sondern der Erfolg der Bank. Es ging nur noch um den Verkauf eines Produkts. Das konnte ich nicht mittragen. Es ging gegen mein Gewissen.“ Es folgte eine Zeit der Neuorientierung. „Ich war auf der Suche nach einem stimmigen Leben.“ Dabei kam sie in Kontakt mit Psychotherapie, Massage, Kinesiologie und Stimmendialog. Weil sie als Lebensberaterin selbstständig werden wollte, steckte sie ihr ganzes Geld in die Ausbildung. Als ihr Mann, ein Bauingenieur, in ein Burn-out schlitterte und nicht mehr arbeitsfähig war, beschlossen die beiden, für ein paar Monate eine Weltreise zu machen. „Das war seine einzige Rettung“, ist Maria im Nachhinein überzeugt. Danach machte sie sich in Vorarlberg als Lebensberaterin selbstständig. Das Ein-Personen-Unternehmen überstand aber die Finanzkrise nicht. „Mehrere Klienten konnten mich nicht mehr bezahlen.“ Das Ehepaar brach daraufhin seine Zelte in Vorarlberg ab und ging ins Ausland. „Wir haben dort gearbeitet. Mein Mann war im Baugewerbe tätig, ich am Flughafen.“
Angsterkrankung entwickelt
Doch Werner geriet wieder ins Burn-out. Deshalb kehrten sie im Jahr 2012 ins Ländle zurück. Maria, die damals um die 50 war, meldete sich arbeitslos. „Ich war naiv und dachte, dass ich wieder eine Anstellung finden würde.“ Doch sie täuschte sich. „Ich habe mehrere Hundert Bewerbungen geschrieben und hatte damit keinen Erfolg.“ Auch ihr Mann schaffte es nicht mehr, im Arbeitsleben Fuß zu fassen. „Werner entwickelte eine Angsterkrankung und leidet unter Panikattacken“, nennt Maria den Grund, warum er um die Invaliditätsrente angesucht hat. Inzwischen hat sich das Paar mit seiner Lebenssituation abgefunden. „Ich habe mich dem Schicksal ergeben“, sagt Maria, die heute ihre Aufgabe darin sieht, sich für Menschen wie ihresgleichen einzusetzen.
*Namen geändert
„Das Leben gibt mir über andere Menschen das, was ich brauche, damit ich leben kann.“