Feigenblatt Neutralität
Was haben Lipizzaner, Walzer und die Neutralität gemeinsam? Alle drei sind fixe Bestandteile der österreichischen Identität. Mit weißen Pferden und Musik erobern wir mühelos die Herzen der Touristen. Mit der aktuellen Berufung auf die Neutralität in der Außenpolitik ist es allerdings nicht so einfach.
Von den Siegermächten 1955 als Bedingung für den Staatsvertrag aufgedrängt, fühlen sich die Österreicher inzwischen wohl in ihrer neutralen Rolle. Auch das aktuelle Regierungsprogramm stellt die Neutralität nicht infrage und schafft gleichzeitig einen altbekannten Spagat: Der Beitritt zur EU? Kein Problem. Die Teilnahme am europäischen Verteidigungsbündnis PESCO? Natürlich vereinbar.
Dann plötzlich aber mutiert Österreich zum „Brückenbauer zwischen Ost und West“. Ein Bild, das Sebastian Kurz bereits als Außenminister gerne verwendete. Doch keine Aussage ist auch eine Haltung. So wie die gesamte EU derzeit bei den Krisenherden im Nahen Osten schweigend das Feld Putin, Erdogan und Rouhani überlässt. Keine Handlung ist auch eine Tat. 26 Staaten und die Nato weisen nach dem Giftgasanschlag gegen einen Ex-Spion in England russische Diplomaten aus. Österreich ist nicht dabei.
Bei wirtschaftlichen Interessen dient die Neutralität besonders gerne als Feigenblatt. So reist diesen Freitag die bisher größte österreichische Delegation ausgerechnet nach China, das sich gerade mit den USA im Handelskrieg befindet. Angeführt von Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzler Kurz können 250 Mitreisende österreichische Interessen vertreten und Kontakte zur wirtschaftlich aufstrebenden Weltmacht pflegen. Zu einem Regime, das soeben einen Präsidenten auf Lebenszeit eingesetzt hat, das politischen Häftlingen medizinische Hilfe verweigert und Bürger ohne rechtsstaatliche Garantien überwachen lässt.
Es wird spannend, wie unsere Staatsspitze den Spagat zwischen wirtschaftlichen Interessen und demokratischen Ansprüchen bewältigt. Trittbrettfahren, auch wenn es kurzfristig gewinnbringend scheint, sollte jedenfalls kein Alleinstellungsmerkmal neutraler Staaten sein.
„Bei wirtschaftlichen Interessen dient die Neutralität besonders gerne als Feigenblatt.“
Kathrin Stainer-Hämmerle
kathrin.stainer-haemmerle@vn.at
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.
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