„Notenwahrheit“?
Wohin steuert unser Bildungssystem? Die Kundgebung für mehr Bildungsgerechtigkeit am Freitag in Bregenz hat viele Menschen aufgerüttelt. Die Wiedereinführung der verpflichtenden Ziffernnote ab der ersten Klasse Volksschule war dabei nur ein Punkt, der die Gemüter erregt hat, weil viele nicht verstehen können, warum schon sechsjährige Kinder einem unsinnigen Notendruck ausgesetzt sein sollen.
Alternative Leistungsbeurteilungen haben sich in zuletzt 2000 Schulversuchen bei insgesamt 3000 Volksschulen bewährt. Man braucht die Ziffernnote nur, um die absurde, aber von der FPÖ und Reformunwilligen in der ÖVP geforderte viel zu frühe Trennung der Kinder mit neuneinhalb Jahren durchführen zu können.
Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache versprechen, die althergebrachten Schulnoten würden die „Notenwahrheit“ „wieder herstellen“. Das hält den Fakten nicht stand, wie unzählige Studien zur Ziffernnote belegen. So hat jedes fünfte mit „Nicht genügend“ beurteilte Kind die gleichen Testleistungen erbracht wie mit „Sehr gut“ beurteilte Kinder. „Notenwahrheit“ bei „benachbarten“ Noten ist noch schwerer auszumachen.
Bildungsminister Heinz Faßmann ist ehemaliger Universitätsprofessor. Von ihm müsste man erwarten, dass er sich an Fakten hält. Der von den führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfasste „Nationale Bildungsbericht“ sollte dabei Pflichtlektüre sein. Er bestätigt genauso wie die Fachzeitschrift „Erziehung und Unterricht“, dass Ziffernnoten speziell in der Volksschule nicht zielführend sind: „Die mangelnde Aussagekraft der Noten ist aus großflächigen Untersuchungen in ganz Österreich bekannt.“
Kennt Faßmann die vielen Forschungsergebnisse nicht oder ist er nur der verlängerte Arm seines Förderers Sebastian Kurz?
Von der Ziffernnote profitieren vor allem Kinder aus privilegierten Kreisen. Sie haben bei gleicher (!) Lesekompetenz eine doppelt so hohe Chance auf ein „Sehr gut“ im Zeugnis wie Kinder aus bildungsfernen Schichten.
Wer für Gerechtigkeit und Leistung an unseren Schulen eintritt, ist gegen die ungerechte Ziffernnote.
„Bildungsminister Heinz Faßmann ist ehemaliger Universitätsprofessor. Von ihm müsste man erwarten, dass er sich an Fakten hält.“
Harald Walser
harald.walser@vn.at
Harald Walser ist Historiker, ehemaliger Abgeordneter zum Nationalrat und AHS-Direktor.
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