Wenn die Online-Sex-Falle zuschnappt

Professionelle Hilfestellung für jugendliche Internet-Opfer.
schwarzach Ein Junge hat mit der 13-jährigen Schülerin – nennen wir sie Anna – über Facebook Kontakt aufgenommen. Anna findet ihn sehr sympathisch. Auch das Foto, das er ihr geschickt hat, gefällt ihr. Er sei 16, gibt er an, und gehe aufs Gymnasium. Zuerst schreiben sich die neuen Internetfreunde belanglose Sachen, dann beginnt der Junge Anna Komplimente zu machen und ihr private Details zu entlocken. Schließlich fordert er Anna auf, sich mit ihm persönlich zu treffen.
Anna ist real. Bei dem „Jungen“ handelt es sich indes um einen Mann jenseits der 50, der seine pädophile Neigung mittels Cyber-Grooming auslebt.
Ebenfalls über Facebook lernt der 15-jährige Andreas (auch dieser Name wurde geändert) ein „echt cooles Mädchen“ kennen, das sich Jenniver nennt. Nach mehreren Chats will Jenniver zu Skype wechseln. Dort spricht sie sexuelle Themen an, zeigt Andreas einen Videofilm und behauptet, das nackt dargestellte Mädchen sei sie selbst. Dann verlangt sie von Andreas, sich auch vor der Webcam auszuziehen. Das Szenario wird mitgeschnitten und der Jugendliche damit erpresst. Damit es nicht veröffentlicht wird, muss er 300 Euro bezahlen. Das „coole Mädchen“ ist nämlich ein erwachsener Mann oder eine Frau, der bzw. die im Rahmen von organisierter Kriminalität Sextortion betreibt. Die Verbrecher setzen ihre Opfer, hauptsächlich Jugendliche, massiv unter Druck.
Sextortion und Cyber-Grooming sind relativ neue Formen von sexuellem Missbrauch via Internet, denen immer häufiger Kinder und Jugendliche zum Opfer fallen. Demnach steigt auch die Zahl der Anfragen zu dieser Thematik an die Helpline „147 Rat auf Draht“ von SOS-Kinderdorf dramatisch.
„147 Rat auf Draht“ wurde vor 30 Jahren von SOS Kinderdorf und ORF ins Leben gerufen. Seit 2014 wird die Helpline für Kinder und Jugendliche nur noch von SOS Kinderdorf betrieben. Das aus 18 Fachleuten bestehende Team – Psychologen, Lebens- und Sozialberater, ein Psychotherapeut und ein Jurist – führt pro Tag an die 250 Beratungsgespräche durch, jährlich sind es rund 100.000. „147 Rat auf Draht ist an 365 Tagen rund um die Uhr besetzt“, informiert Gerd Konklewski (46), Leiter von SOS Kinderdorf in Vorarlberg. „Wichtig ist: Die Beratung ist kostenlos und anonym.“ Neben der telefonischen Beratung ist der Online-Chat ein wesentlicher Teil der Helpline.
Am häufigsten wählen Elf- bis 14-Jährige die Nummer 147, gibt Elke Prochazka Auskunft. Die 40-jährige Psychologin ist seit über 17 Jahren Beraterin bei „147 Rat auf Draht“. Die Themen drehen sich hauptsächlich um Probleme in der Schule oder mit Eltern, um Liebe, Sexualität, auch um Suizid. Seit 2014 stehen die Anfragen zu digitalen Medien an erster Stelle. Gemeinsam mit ihrem Wiener Kollegen Alexander Pummer (44) leitet Prochazka SeXtalks 2.0. Dieses Workshop-Projekt – eine Kombination von „147 Rat auf Draht“ und der EU-Initiative Saferinternet.at – gibt es seit fünf Jahren. Damit werden Chancen und Risiken von Sexualität im Zusammenhang mit digitalen Medien thematisiert. Es geht auch um junge Menschen, die in die Online-Sex-Falle tappen – wie Anna und Andreas.
Workshop im Gymnasium
Das Projekt SeXtalks 2.0 haben Prochazka und Pummer kürzlich nach Vorarlberg gebracht. Am Gymnasium Gallusstraße in Bregenz hielten sie einen Workshop für zwei dritte Klassen ab. Die etwa 50 Mädchen und Jungen, die teilgenommen haben, sind 13 und 14 Jahre alt.
Prochazka und Pummer klärten die Gymnasiasten unter anderem darüber auf, wie man sich vor Cyber-Grooming und Sextortion schützen kann. „Die Jugendlichen müssen zudem wissen, dass jede Nötigung zu sexueller Handlung, ob im Web oder im realen Raum, als gleichschwere Straftat behandelt wird“, sagt Prochazka. Laut Rückmeldung von Lehrkräften seien die Schüler „sehr interessiert“ gewesen. „Und sie wünschen sich eine Fortsetzung des Workshops “, fügt Pummer hinzu. Für Eltern hat Prochazka folgenden Rat: „Wenn Kinder in die Falle tappen, brauchen sie Unterstützung statt Strafe.“
Notruf 147
147 Rat auf Draht Der Notruf für Kinder und Jugendliche wird als gemeinnützige GmbH der Organisation SOS Kinderdorf geführt.
Hilfe Psychologische Beratung und Unterstützung, Krisenintervention, Begleitung in schwierigen Lebenssituationen, Information, Aufklärung, Prävention, Service.
Beratung Per Telefon, online oder im Chat erreichbar: rund um die Uhr, kostenlos, anonym
„SeXtalks 2.0 – Sexualität und digitale Medien“ Der Workshop ist ein Projekt des BKA in Kooperation mit Saferinternet.at, 147 Rat auf Draht und netidee.
Alle Infos www.rataufdraht.at