Schwer erziehbar
Schwer erziehbar: Sagen Sie diese zwei Worte langsam vor sich her, und Sie werden feststellen, sie klingen wie ein Wagen, den man unfreiwillig über Steine hinter sich herzieht.
Kinder, die in Heimen aufwachsen, leben anders als wir.
Da gab es eine Frau, die sieben Mal schwanger war, jedes Mal von einem anderen Mann, Afrikaner waren darunter, Inder, Araber – als hätte sie eine globale Sammelleidenschaft. Jetzt bekommt sie das achte Kind. Ein Jahr jeweils bleiben die Kinder bei ihr, dann kommen sie ins Heim. Es gibt Geschwister, die einander nicht verstehen, sie sind aufsässig, selten zufrieden, haben niemanden, dem sie einen Kaugummi geben wollten, wenn sie zwei hätten. Die Älteste ist jetzt fünfzehn. Ihren Vater, einen Mann aus Ghana, hat sie nie gesehen. Die Mutter besucht sie und ihre Geschwister selten, und immer ist ein neues Kind in ihrem Bauch. Das Mädchen, das ich Kaja nenne, hat eine Freundin, die draußen wohnt, so nennt man die, die nicht im Heim sind. Sie will mit dieser Freundin am Wochenende ausgehen. Ihre Betreuerin sorgt sich und fragt, weißt du denn, wie man sich verhält, wenn man nicht schwanger werden will? Kaja lacht und sagt, wenn sie ein Baby bekommt, bringt sie es ihr – ins Heim.
Da ist dann noch Stefan, einer ihrer Brüder, sein Vater ist ein Deutscher, er hat ihn noch nie kennengelernt. Stefan bekommt Medikamente, damit er nicht so aufrührerisch ist. Er hat eine künstlerische Begabung, sagt seine Betreuerin. Er malt und schneidet aus, er klebt und nagelt. Sein schönstes Kunstwerk hat er seiner Lieblingsbetreuerin geschenkt. Es hängt über ihrem Bett, gern schaut sie es an. Es ist ein geschnittenes und geklebtes Bild, stellt Vögel dar, die wegfliegen.
In der Betreuergruppe wird beschlossen, dass Stefan keine Schere mehr haben darf. Er hat das Kabel einer Lampe durchschnitten, und dann, als er gerügt worden ist, hat er am nächsten Tag mit der Schere den Teppich ruiniert. Seine Lieblingsbetreuerin nimmt ihn in Schutz.
„Das ist“, sagt sie, „weil man ihn ständig stört, wenn er seine Kunst macht.“
Die Schere wird ihm weggenommen. Stefan sitzt in einem Winkel, die Hände vor dem Gesicht. Er streikt. Er will nicht essen, nicht spielen, nicht lernen, sein Zimmer, das er sonst in Ordnung hält, hat er verwüstet.
„Gut, soll er die Schere wieder haben, aber nur außerhalb seines Zimmers. Damit wir ihn kontrollieren können.“
„Aber“, gibt seine Lieblingsbetreuerin zu bedenken, „er arbeitet nur in seinem Zimmer, er will nicht gestört werden, will nicht, dass ihm ein anderer seine Kunst zerstört.“ Am liebsten hat man die Kleinen, die noch nicht sprechen können. Man liebt sie, weil die Hoffnung besteht, dass etwas aus ihnen werden könnte. Die Chancen allerdings stehen schlecht.
„Stefan sitzt in einem Winkel, die Hände vor dem Gesicht. Er streikt.“
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
Kommentar