Ein Hauch von Fußach
Ein Hauch von Fußach weht durchs Land. 64 Jahre nach diesem Fanal gegen Wiener Zentralismus ist von Streik die Rede. Die Arbeiterkammer schaltet ganzseitige Inserate mit dem Titel „Nein zum dreisten Raub der GKK-Gelder“. Ein Schelm, wer das mit der nächstes Jahr fälligen AK-Wahl in Zusammenhang bringt. Nicht nur die soeben gewählte neue Präsidentin der österreichischen Arbeiterkammer, Renate Anderl, ist schon jetzt im Wahlkampfmodus: „Sechste Urlaubswoche für alle“, „Verkürzung der Arbeitszeit“ – übrigens: Wer zahlt das? Ihr kann man aber wenigstens nicht vorwerfen, dass sie sich zunächst im türkisen Wahltriumph gesonnt hat und sich jetzt wieder als Schwarze gebärde, wenn es wahltaktisch opportun ist, wie das beim Vorarlberger AK-Präsidenten und seinem Tiroler Kollegen Zangerl durchaus Tradition hat. Das nennt man, s`Weggle und s`Füferle zu wollen. Jetzt plötzlich tun all die schwarzen Protestierer so, als ob man nicht gewusst habe, was bei den Sozialversicherungen geplant sei. Sebastian Kurz hat im Wahlkampf klar deponiert, dass er eine Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger anstrebt. Viele Österreicher haben ihn dennoch gewählt.
Bei so viel Hysterie, wie wir sie derzeit erleben, tut der Blick von außen gut. In Österreich bestimmen – theoretisch – die Versicherten selbst, wer wie mit ihren Pflichtbeiträgen wirtschaftet. Die bei uns besonders unverdächtige „Neue Zürcher Zeitung“ hat vor Kurzem geschrieben, dass diese Selbstverwaltung eine überholte Fiktion sei: „Kaum ein Österreicher weiß, dass er angeblich seine Versicherung mitgestaltet. Wie sollte er auch? Die Gremien der Kassen werden von den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden beschickt. Die Selbstverwaltung ist zur Lebenslüge der Sozialversicherungen in der Zweiten Republik geworden. Das hat zur Aufblähung der Apparate, Versorgungsposten und zu Misswirtschaft geführt. Über Jahre mussten verschuldete Kassen unter Bezuschussung durch den Bund saniert werden“ (nzz.ch).
Nun hat die geplante Zusammenlegung der Sozialversicherungen manche Schwachstelle. Wenn die Krankenkassen zentralisiert werden, Spitäler aber weiterhin Ländersache sind, sind Reibungsverluste vorprogrammiert. Unklar ist, wie die Versicherung der Beamten oder die besonders aufgeblähte Versicherung für Eisenbahner und Bergbau gelöst wird. Die durch die letzten Wahlen noch gestärkten Landeshauptleute werden für die Regierung eine harte Nuss. Es fällt auf, dass Markus Wallner zu den heftigen Protesten von Kämmerern und Gewerkschaftern bisher geschwiegen hat. Möglicherweise weiß er, dass in Sachen Zusammenlegung nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht ist. Dass also bei grundsätzlicher Beibehaltung der Zusammenlegung auf fünf Sozialversicherungsträger ein Weg gefunden wird, wie die regionale Budgetautonomie beibehalten werden kann. Jede Wette: Wenn klargestellt ist, dass kein Vorarlberger Versicherungseuro nach Wien wandert, wird der Protest bei uns sehr leise. So mancher Vorarlberger wird der NZZ zustimmen, die resümiert: „Ein Ende der Selbstverwaltung wäre vor allem für jene Funktionäre schmerzhaft, die sich dort bisher überwiegend selbst verwalten.“
„Nun hat die geplante Zusammenlegung der Sozialversicherungen manche Schwachstelle.“
Wolfgang
Burtscher
wolfgang.burtscher@vn.at
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor.
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