Heilige Kühe
Kühe sind bei den Hindus unantastbar, sie dürfen nicht getötet werden. In unserem Kulturkreis sind Kühe dagegen Nutztiere und ihre Produkte werden in vielerlei Hinsicht verwertet. Angesichts mancher Reaktionen auf das Kuhattacken-Urteil des Landesgerichts Innsbruck könnte man allerdings glauben, dass Kühe auch bei uns heilig wären. Ich habe jedenfalls selten so wenig Mitgefühl mit einem Unfallopfer wahrgenommen wie bei jener Touristin, die vor den Augen ihrer Familie von einer Kuhherde totgetrampelt wurde. Vermutlich waren die Tiere wegen des mitgeführten Hundes aggressiv geworden.
Die Empörung über das noch gar nicht rechtskräftige Urteil, das einen Bauern als Eigentümer der Kuhherde zu einer hohen Schadenersatzleistung an die Hinterbliebenen der Getöteten verurteilte, ist enorm. Die Politik ist besorgt, Kommentare in den Zeitungen drücken ihr Unverständnis aus und mittlerweile machen sogar viele Älpler ihrem gerechten Zorn über das Verhalten von Touristen auf ihren Alpen Luft. Forderungen nach gesetzlichen – wie betont wird: bundeseinheitlichen – Regelungen werden laut.
„Forderungen nach gesetzlichen – wie betont wird: bundeseinheitlichen – Regelungen werden laut.“
In einer solchen Situation sollte man sich besinnen, was wirklich geschehen ist: Das Unglück ist auf einer öffentlichen Straße passiert, nicht auf irgendeinem Wanderweg in abgelegener Gegend. Unweit des Unglücksorts befindet sich das Ziel des Weges: Ein großer, häufig frequentierter Berggasthof. Der Weg wird im Sommer täglich von hunderten Wanderern benutzt, viele von ihnen führen – selbstverständlich – Hunde mit sich.
Wer sich die Mühe machte, die Pressemitteilung des Landesgerichts zu lesen, erkannte, dass sich das Gericht seine Entscheidung nicht leicht gemacht hatte. Dutzende Zeugen waren vernommen worden, ein Augenschein abgehalten und zwei Sachverständigengutachten eingeholt. Es erkannte darin, dass die Familie einen Hund bei sich führte, keine Fahrlässigkeit. Hingegen wäre, so das Gericht, es dem Bauern mit geringem Aufwand möglich gewesen, die Weide in diesem stark frequentierten Bereich abzuzäunen. Wenige hundert Meter Elektrodraht hätten genügt. Keine Rede davon, dass in Zukunft unzumutbare Vorkehrungen erforderlich wären, um die Touristen vor wild gewordenen Kühen zu schützen oder gar das Ende der durch staatliche Subventionen ohnehin geförderten Alpwirtschaft drohen würde!
Das Gesetz, auf das sich das Gericht berief, ist § 1320 des altehrwürdigen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches und regelt die Haftung des Tierhalters für Schäden, die aus fahrlässiger Verwahrung von Tieren resultieren. Jeder Hundehalter kennt diese Bestimmung,. Ein neues Bundesgesetz über richtiges Verhalten von Wanderern ist ebenso unnötig wie eine Haftungsfreistellung von Kühen.
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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