Heiße Diskussion beim VN-Stammtisch: Das Alp-Urteil und seine Folgen

Lebhafte Debatte beim VN-Stammtisch in Hohenems nach dem Alp-Urteil von Innsbruck.
28. Juli 2014: Eine deutsche Touristin (45) spaziert mit ihrem Hund auf einer Gemeindestraße bei der Pinnisalm in Tirol. Erst 15 Minuten zuvor attackierten Mutterkühe eine Passantin, deren Hunde die Tiere aufgescheucht haben. Auch die 45-Jährige wird nun von den Kühen umzingelt. Die Leine des Hundes kann sie nicht mehr rechtzeitig lösen. Die Frau wird niedergestoßen, ihre Lungen und ihr Herz zerquetscht, fast alle Rippen gebrochen. Sie stirbt. Viereinhalb Jahre später hat das Tiroler Landesgericht zivilrechtlich den Bauern und dessen Haftpflichtversicherung zu Schadenersatz verurteilt (insgesamt rund 490.000 Euro). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dennoch versetzt es Tourismus und Almwirtschaft in Aufregung. Müssen nun Bauern für Unfälle mit Kühen auf Almen zahlen? Auf dem VN-Stammtisch am Donnerstagabend in der Landwirtschaftsschule in Hohenems diskutierten Vertreter verschiedener Interessensgruppen über mögliche Folgen des Urteils. Rasch entwickelt sich eine emotionale Debatte über Verantwortung, Eigentum, Zäune, Touristen; und immer wieder Hunde.

Christoph Freuis ist Geschäftsführer des Alpwirtschaftsvereins Vorarlberg. Als solcher ist er überzeugt: „Das umstrittene Urteil bringt Probleme für die ganze österreichische Landwirtschaft mit sich.“ Er ortet eine amerikanische Entwicklung in der österreichischen Justiz und warnt: „Schotterstraßen wie jene in Tirol mit Fahrverbot haben wir viele in Vorarlberg. Und oft ist eine Gaststätte in der Nähe.“ Josef Moosbrugger, österreichischer Landwirtschaftskammerpräsident, ergänzt: „Das Urteil hat für große Betroffenheit gesorgt.“ Die Freizeitaktivitäten in den Bergen hätten stark zugenommen. „Aber eines muss klar sein: Es gibt keine 100 prozentige Sicherheit!“ Hotelier und Wanderführer Jürgen Zudrell erinnert an den Vorfall in Tirol: „Es ist schrecklich, was da passiert ist.“ Gleichzeitig lobt der Touristiker die Landwirte: „Die Kultur- und Landschaftspflege hat einen hohen Stellenwert für den Tourismus.“

Amtstierarzt Erik Schmid möchte sich zum konkreten Fall nicht äußern: „Es steht niemandem zu, dieses Urteil zu bewerten.“ Er suche den gemeinsamen Nenner in der Diskussion, welcher „Eigenverantwortung“ laute: „Alle fordern Eigenverantwortung. Aber die muss für alle Tierbesitzer gelten, sowohl für Hunde- als auch Rinderbesitzer.“ Kammerpräsident Moosbrugger entgegnet: „Bei der Eigenverantwortung sind wir einer Meinung. Aber zuerst kommt die Alpwirtschaft, dann die Freizeit.“

Schmid erneuert indes seine Forderung nach einem Hundeführerschein. Älpler Christian Kohler stellt unterstützend fest: „Ich bin seit 15 Jahren am Spulersee. Und bemerke, dass mittlerweile jeder zweite Hund nicht angeleint ist.“
In der Debatte mit dem Publikum werden die Konfliktlinien deutlich: Touristen, Biker, Hunde und deren Besitzer. „Aber nicht alle“, wehrt sich ein Mann aus dem Publikum. Ein Alpbetreiber erzählt: „Bei uns fahren noch um 22 Uhr Biker über die Weide. Wir müssen die Touristen wohl aussperren.“ Eine Älpler-Kollegin fragt sich: „Wie weit muss die Rücksicht gehen? Wie viel ist zumutbar? Muss ich nun ständig da sein und aufpassen?“

Auch der Ruf nach einem Leinenzwang auf Alpen wird immer wieder laut. Jürgen Zudrell baut hingegen auf Aufklärung. Noch mehr Verbote seien nicht zielführend. Erik Schmid stimmt zu: „Ich bin kein Freund von Anlassgesetzgebung. Aufklärung ist wichtig.“
Zahlreiche Fragen werden an diesem Abend aufgeworfen, die die Dimension des Themas zeigen: Was ist eine ortsübliche Einzäunung? Wie viel Zaun braucht es? Leinenzwang? Hundeverbot? Wem gehört die Alpe? Dem Wanderer, den Bikern, den Älplern? Allen? Der Standpunkt bestimmt die Meinung.

Immer wieder kommt das Urteil zur Sprache. Mossbrugger befürchtet: „Wenn es hält, dann werden der Schilderwald und die Zäune auf den Alpen zunehmen.“ Er habe bereits die Zusage des Landes für einen Versicherungsschutz in der Tasche, damit solche Haftungsfragen nicht mehr aufkommen.
Ein tragischer Fall in Tirol sorgt also fünf Jahre danach auch in Vorarlberg für heftige Diskussionen. Der Mann der Verstorbenen sagte laut „Falter“ vor dem Gericht übrigens aus, dass sein Leben den Sinn verloren habe. Nur der gemeinsame Sohn halte ihn vom Suizid ab.
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.