„Haben den Kürzeren gezogen“

E-Mail-Verkehr zeigt, wie sich das Land gegen die Aufnahme von Soner Ö. gewehrt hat.
Schwarzach Als ein 34-jähriger, in Lustenau geborener und im Jahr 2009 nach Istanbul abgeschobener, mit Rückkehrverbot belegter türkischer Staatsbürger am 6. Februar dieses Jahres den Sozialamt-Leiter der BH Dornbirn ersticht, deutet nichts auf das Politikum hin, das daraus entsteht. Am Donnerstag ging es im Nationalrat weiter: Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) thematisierte den Fall – zum Ärger des Landeshauptmannes.
Der Grund der Aufregung ist eine gemeinsame Recherche von VN und Falter. Daraus geht hervor, was das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über Soner Ö., den späteren Täter, wusste. Er gab an, in Syrien türkische Soldaten getötet zu haben, weshalb ihm Folter oder der Tod drohten. Auch seine 15 Verurteilungen und das unbefristete Rückkehrverbot waren dem BFA bekannt. Trotz Warnungen aus Vorarlberg wurde Soner Ö. zum Asylverfahren zugelassen und auf freien Fuß gesetzt. Im Nationalrat wehrte sich Kickl nun gegen den Vorwurf, Warnungen seien ignoriert worden. Er las aus einer E-Mail des Landes an das Innenministerium (BMI) vor: „Nach Rücksprache können wir den Privatverzug von Herrn Ö. genehmigen.“ Der Vorwurf habe sich damit in Luft aufgelöst.
Den VN liegen diese E-Mails vor. Darin ist der zitierte Satz zwar zu lesen; allerdings aus dem Zusammenhang gerissen. Vier Tage zuvor schreibt eine zuständige Beamtin nämlich: „Dem Privatverzug wird nicht zugestimmt.“ Erst die Feststellung, dass eine Zurückweisung rechtlich nicht möglich ist, führte zur späteren Aussage. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner ist entsprechend verärgert: „Das ist letztklassig. Zuerst hat man unsere Mitarbeiterin in die Knie gezwungen, jetzt wirft man es ihr an den Kopf. Er hätte fairerweise die ganze Geschichte vorlesen müssen.“
Salzburg im Gespräch
Die ganze Geschichte lautet: Am 18. Jänner wurde Soner Ö. zum Asylverfahren zugelassen. Noch am selben Tag landete eine E-Mail aus der Grundversorgungsabteilung des BMI im Landhaus: „Ansuchen mit der Bitte um Prüfung einer Übernahme in die Grundversorgung, privat.“ Die ablehnende Antwort folgt am gleichen Tag. Darin heißt es weiter: „Sollte er eigenmächtig verziehen, wird er nicht in die Grundversorgung aufgenommen und von uns zurück verwiesen.“ Das BFA prüft daraufhin Alternativen. Ein Mitarbeiter schreibt einer Kollegin am 19. Jänner: „Entweder ich kann ihn an die Grundversorgungsstelle Salzburg anbieten“, oder Soner Ö. müsse eventuell komplett ohne Grundversorgung auskommen.
Nach einem weiteren Telefonat übermittelt das BMI am 21. Jänner die Agumentation, weshalb Soner Ö. privat einreisen dürfe. Am 22. Jänner folgt die formale Genehmigung aus Vorarlberg, mit dem Hinweis versehen: „Wir bitten um Mitteilung, sobald er sich auf den Weg nach Vorarlberg macht.“ Auch Sicherheitslandesrat Christian Gantner (ÖVP) kritisiert Kickl: „Es ist eine Frage des Charakters, ob man in so einer Situation versucht, Verantwortung auf einzelne Mitarbeiter abzuschieben.“ Hinter den Kulissen brodelte der Fall noch weiter.
Nicht aufgegeben
Am 23. Jänner ergeht eine E-Mail aus dem Landhaus an die BFA-Regionaldirektion Vorarlberg mit der Bitte um Hilfe. „Wir haben uns bereits im Vorfeld ein Match mit dem BMI geliefert, aber leider den Kürzeren gezogen.“ Dann die Frage: „Kann ein Asylantrag tatsächlich ein unbefristetes Rückkehrverbot overrulen?“ PS: „Er war gerade bei der BH und hat um Mindestsicherung angesucht.“ Am 24. Jänner folgt eine Mail ans BMI: „So unglaublich es ist, das Aylverfahren overruled solche fremdenpolizeilichen Maßnahmen.“ In der Zwischenzeit sucht Soner Ö. mehrfach um Grundversorgung an, wird zwischen Rathaus Lustenau und BH Dornbirn hin und her geschickt. Am 29. Jänner spricht er auch bei der Caritas vor. Soner Ö. fühlt sich ungerecht behandelt. Und zwar erneut von Alexander A., dem Leiter der Sozialabteilung, der ihm im früheren Leben das Aufenthaltsverbot ausstellte. Exakt zehn Jahre später um 15.20 Uhr ersticht Soner Ö. den Mann. Noch um 15.06 Uhr erreicht eine E-Mail das Landhaus: Die Grundversorgung für den Lebensunterhalt wurde genehmigt.
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