Hanno Loewy

Kommentar

Hanno Loewy

Brexiting

Vorarlberg / 24.04.2019 • 18:10 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Es gibt ein neues Wort in der englischen Sprache: Brexiting. Man erzählt allen Gästen auf einer Party, dass man gehen muss. Und bleibt dann doch. Nun ist der April fast vorbei und man weiß noch immer nicht, ob der Brexit nicht ein böser Aprilscherz gewesen ist. Ein Aprilscherz, der mit Menschenleben spielt.

Am 28. März 2019 sollte Großbritannien aus der Europäischen Union ausgetreten sein. Und am 1. April hätte man der erstaunten Öffentlichkeit die Aktualität des britischen Humors demonstrieren können.

Aber nachdem sich inzwischen alle in diesen Aprilscherz verrannt haben, weiß keiner mehr, wie man ihn anständig zu Ende bringt, oder aus dem Austritt wieder austritt. Jetzt kommt die EU-Wahl und die Briten nehmen daran teil, als gäbe es Aprilscherze auch im Mai. Nach wie vor will die Hälfte der Briten in der EU bleiben. Andere wollen ganz austreten und nach Amerika schwimmen. Ein großer Teil der Briten und die Mehrheit ihrer Politiker wollen zwar von der Klippe springen, sich dann aber doch mit beiden Händen am Rand festhalten und irgendeine Art von Zollunion eingehen, die Theresa May – anders als die Labour-Opposition – nur nicht so nennen will. Und weil man die Sache nicht beim Namen nennen will gibt es auch dafür keine Mehrheit. Theresa May hat dabei zum Äußersten gegriffen, zu einer absurdistischen Drohung, die nur in einem Monty Python Plot denkbar ist: sie hat in Aussicht gestellt, zurückzutreten, wenn das Parlament endlich tut, was sie sagt.

Der Aprilscherz aber hat sich inzwischen in blutigen Ernst verwandelt. Die Abgründe der europäischen Nationalismen schlummern unter der Oberfläche und die Zauberlehrlinge der neuen Rechten, von Wien bis Budapest und Warschau, sie spielen bewusst mit dem Feuer der Erregung, auf dem sie die Suppe ihrer Macht und ihrer Politik der sozialen Kälte kochen. Das muss ihnen erst einmal jemand nachmachen: sie stellen Eis aus Feuer her.

Nein, das ist gar kein Scherz. Der kalte und von den Brexiteers wieder heißgekochte Bürgerkrieg in Nordirland hat wieder ein erstes Todesopfer. Die 29 jährige Journalistin Lyra McKee, die vor einer Woche in Derry ermordet wurde, geht nicht nur auf das Konto katholisch-irischer „Terroristen“, sondern auf das all jener, die glauben, dass man Europa dem zynischen Spiel mit Grenzen und „Identitäten“ überantworten kann. Egal ob man sich nun „Identitär“ nennt, oder so tut, als hätte man mit diesen Schmuddelkindern „gar nichts“ zu tun.

„Der Aprilscherz aber hat sich inzwischen in blutigen Ernst verwandelt.“

Hanno Loewy

hanno.loewy@vn.at

Hanno Loewy ist Direktor des ­Jüdischen Museums in Hohenems.