Hintergrund: Neonazis müssen vor das Schwurgericht

Verbotsgesetz von 1947 verlangt Großaufgebot an gerichtlicher Besetzung wie bei Mord.
Feldkirch Beinahe regelmäßig muss sich die Justiz mit irgendwelchen Aktivitäten, die unter das Verbotsgesetz fallen, beschäftigen. Auch in Vorarlberg. Das Täterprofil: oft betrunken, jüngeren Alters und im Verfahren geständig. Warum sie Hitler so toll fanden, dass sie sich sogar Nazisymbole auf die Haut tätowieren ließen, warum sie Rechts-Rock-Musikgruppen hörten, Fahnen und Hitlerbier stolz präsentierten, können sie im Prozess selten erklären. Gruppendruck, Langeweile, Dummheit und falsche Informationen stecken oft dahinter. Doch angesichts unserer Vergangenheit sieht es der Gesetzgeber nicht so locker wie die Angeklagten. Auf Wiederbetätigung stehen hohe Strafen, eigens geregelt im Verbotsgesetz aus dem Jahre 1947, das sogar Verfassungsrang hat und Schwurgerichtsbesetzung verlangt.
Diskussion
Immer wieder stellt sich die Diskussion, ob diese Besetzung notwendig ist. Anfang Februar wird beispielsweise eine junge Frau nach dem Verbotsgesetz verurteilt. Die erstinstanzliche Strafe für die bislang Unbescholtene: 10 Monate Haft auf Bewährung plus 1200 Euro Geldstrafe. Ihr vierfach vorbestrafter Ehemann wurde vom Schwurgericht zu 20 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Verglichen mit einem Schuldspruch wegen Mordes, wo die Untergrenze zehn Jahre beträgt, eine „geringfügige“ Sanktion. Die Frage ist, ob nicht ein Schöffensenat mit zwei Laienrichtern diese Fälle genauso gut abhandeln könnte. Der Gesetzgeber sagt eindeutig nein, und so bleibt es auch in Zukunft bei dem aufwendigen, teuren, langwierigen und schwerfälligen Prozedere. Die Formvorschriften sind kompliziert. Werden sie nicht penibel eingehalten, ist das Verfahren nichtig und muss wiederholt werden.
Mühsam zu folgen
Der Sachverhalt ist in der Regel einfach, doch die Verlesung endlos scheinender Passagen ist für alle Beteiligten ermüdend. Geht es um Tätowierungen, Musik, Fahnen, Mützen, Hitlerbier- und -wein, reiht sich eine komplizierte Frage an die andere. Die acht Laienrichter müssen sie dann allein und selbstständig mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten, die Mehrheit entscheidet. Bei Stimmengleichheit gilt die für den Angeklagten günstigere Variante. Meist ist § 3 g Verbotsgesetz angeklagt. Dies ist quasi ein Auffangbecken für allgemeine Handlungen, die alle in irgendeiner Weise die Person Hitlers glorifizieren oder seine Lebensaufgabe gutheißen. Das Sammeln von NS-Propagandamaterial oder die Verwendung typischer Parolen, Schlagworte oder Symbole wie zum Beispiel „88“, stellvertretend für zwei Mal den achten Buchstaben im Alphabet, also „HH“, gemeint „Heil Hitler“. Die Aussage, Hitler sei nicht so schlecht gewesen, er habe vielen zu Arbeit verholfen, reicht hingegen nicht aus.
Intensive Vorbereitung
So sind die Richter gefordert, wenn jemand mehrfach gegen das Verbotsgesetz verstößt. Sie müssen einzelne Handlungen in ein Frageschema gießen, was sich oft seitenlang dahinschleppt. Diese Fragen müssen im Prozess mehrfach verlesen werden, das kostet Zeit. Doch das Schwurgericht verlangt Genauigkeit, immerhin geht es mitunter um jahrelange Haftstrafen.
Beispiel für eine einzelne Frage
Für Fragen gibt es oft eine ganze Liste. Bezüglich einer im Gang zur Schau gestellten Bierflasche mit Hitleretikett lautete die Frage bei einem Prozess am Landesgericht Feldkirch beispielsweise:
„Ist (Name des Angeklagten) schuldig, im Zeitraum 1.1.2014 bis 5.7.2015 in Dornbirn sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f Verbotsgesetz bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt zu haben, indem er den Nationalsozialismus und die Person Adolf Hitlers verherrlichend, spezifische Zielsetzungen der NSDAP unsachlich, einseitig und propagandistisch vorteilhaft darstellend bzw. typisch nationalsozialistische Parolen, Schlagworte und Symbole propagandistisch verwendend im Wohnzimmer auf einem Glastisch, eine Bierflasche mit dem Etikett, auf welchem Adolf Hitler abgebildet und der Text „Zum Wohl mein Führer!“ angebracht ist, für andere Personen sichtbar präsentierte bzw. ausstellte, wo sie insbesondere anlässlich einer freiwilligen Nachschau am 5.7.2015 von Beamten des Landesamtes für Verfassungsschutz Vorarlberg auch tatsächlich wahrgenommen wurde?”