Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Ibiza-Flirt

Vorarlberg / 20.05.2019 • 17:59 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

An sich hätte die bevorstehende EU-Wahl eine Belebung der politischen Diskussion gut gebrauchen können. Im Bewusstsein vieler Leute spielt sie bestenfalls in der zweiten Liga, regelmäßig bleibt die Mehrheit der Wählerinnen gleich einmal zu Hause, während die Nationalratswahl durchaus auf 80 Prozent Wahlbeteiligung kommt. Mit einem mutigen Auswahlverfahren (die Mandate bekommen die Kandidaten mit den meisten Vorzugsstimmen) hat die ÖVP auf starkes Engagement der Kandidaten gesetzt. Welche Überraschungen dieser Verdrängungswettbewerb bringen wird und ob sich ihr Vorarlberger Kandidat Zoll neben den beiden Spitzenkandidaten Karas und Edtstadler sowie den Kandidaten aus großen Bundesländern durchsetzen kann, wird man sehen. Zu wünschen wäre es.

„Es ist zu fürchten, dass noch mehr Leute zu Hause bleiben.“

Bei den anderen Parteien sind die Mandatschancen berechenbarer. Bei der SPÖ (bisher 5 Mandate) findet sich der erste Listenplatz aus Vorarlberg auf Platz 11, bei der FPÖ mit 4 Mandaten auf Platz 9 und bei den Grünen mit 4 Mandaten auf Platz 8. Das alles wird für einen Einzug in das EU-Parlament nicht reichen. Anders sieht es bei den Neos aus, die bei bisher einem Mandat mit Claudia Gamon sogar eine Vorarlbergerin als Spitzenkandidatin haben. Sie hat die mit diesem Platz verbundenen Chancen medialer Präsenz erstaunlich gut genutzt und wird nach allen Umfragen in das EU-Parlament einziehen.

Zu kräftige Belebung

Dass die EU-Wahl in das Fahrwasser des skandalösen Ibiza-Auftritts und Oligarchen-Flirts der FPÖ-Spitze geriet, dürfte allerdings wohl ein zu kräftiger Turbo-Effekt geworden sein. Zunächst ist zu fürchten, dass noch mehr Leute als bisher angewidert zu Hause bleiben. Und mit der vom Bundeskanzler nach langem Zögern verkündeten Beendigung der Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ werden auch die politischen Karten für die EU-Wahl neu gemischt. Hoffnung auf Rückenwind macht sich vor allem die SPÖ, die ihren Erfolg bei den AK-Wahlen fortsetzen will. Mehr als ohnedies üblich werden von der EU-Wahl diesmal bundespolitische Signale ausgehen.

Überlagerung der Landtagswahl

Auswirkungen wird das Regierungsende auf Bundesebene auch auf die eigentlich für den 22. September geplante Landtagswahl haben. Ob sie mit der für den 8. September erwarteten Nationalratswahl zusammengelegt oder in Vorarlberg innerhalb von zwei Wochen zweimal gewählt wird, ist noch offen. Wenngleich man aus vielen Beispielen weiß, dass die Leute zwei Wahlen durchaus unterscheiden, gibt es doch eine Sogwirkung und einen Verstärkereffekt. Eine starke Bundespartei kann eine schwache Landespartei hinaufziehen, bundespolitischer Gegenwind kann eine starke Landespartei bremsen. Das spielt natürlich immer eine Rolle, aber bei der Gleichzeitigkeit der Wahlwerbung und Meinungsbildung diesmal natürlich ganz besonders. Landesthemen werden nur eine Nebenrolle spielen und auch die Landespolitiker werden bundespolitisch argumentieren müssen. Wie gerne sie das im Herbst tun werden, wird spannend werden.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.