Es geht auch umgekehrt: Wenn sich Firmen gegen Nachbarn wehren

Seit 2014 gibt es für Industriebetriebe Einspruchsrechte gegen Nachbarn. Bisher wurden sie kaum genutzt.
Au, Bregenz Richard Natter steht auf dem Balkon seines Hauses. Er und sein Bruder haben es geerbt. Sie sind die dritte Generation, die hier wohnt. Damit beide Brüder mit ihren Familien einziehen können, soll das Haus um 1,8 Meter aufgestockt werden. Natter blickt in die Ferne, unter ihm rauschen Autos und Lastwagen über die L 200 nach Schoppernau. Auf der anderen Straßenseite befindet sich ein Sägewerk, dahinter rauscht die Bregenzerach durch das Tal. Eigentlich wollten die Natters Ende des Jahres fertig sein. Daraus wird nichts, der Nachbar – ein Unternehmen – ist vor das Landesverwaltungsgericht gezogen.
Wer sich die jüngere Geschichte großer Firmenerweiterungen angesehen hat, stößt nicht selten auf Konflikte mit den Nachbarn. Bürger artikulieren sich, sie reden mit. Umgekehrt fehlte Betrieben lange die Möglichkeit, sich gegen neue Nachbarn zu wehren. Das änderte sich 2014, als der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung im Vorarlberger Baugesetz aufhob. Seitdem haben Unternehmen die neue Möglichkeit kaum genutzt. In Au versucht ein Sägewerkunternehmer nun, eine Aufstockung des Nachbarhauses mit Verweis auf die neuen Einspruchsrechte vor dem Landesverwaltungsgericht zu bekämpfen. Es ist der zweite solche Fall für das Gericht.
Es war ein Sägewerk in Egg, das zur Änderung im Baugesetz führte. Die Einwände eines Unternehmens zu einem Neubau eines Zweifamilienhauses wurden damals von allen Behörden abgewiesen. Sie verwiesen auf eine Bestimmung im Baugesetz, wonach bestehende Betriebe von Nachbarrechten ausgeschlossen werden. Die Sägewerksbetreiber beriefen sich auf eine VfGH-Entscheidung zu einem Fall in Altmünster. Das Nachbarhaus war 2014 längst gebaut, als der Verfassungsgerichtshof dem Unternehmen recht gab. Der Paragraf wurde aus dem Baugesetz gestrichen. Das ist fünf Jahre her, doch von ihrem neuen Recht machten bisher wenige Unternehmer Gebrauch. Zumindest bis vor das Landesverwaltungsgericht ist bis jetzt erst eine Firma gezogen, wie Gerichtspräsident Nikolaus Brandtner auf VN-Anfrage erläutert.
Nun also der zweite Fall. Die Sägewerksbetreiber in Au befürchten nämlich: “Wenn die Baubewilligung umgesetzt werden sollte, dann wird ein altes Objekt, statt dass es in sinnvoller Weise abgesiedelt wird, erneuert und um ein Stockwerk aufgestockt.” Damit würden mindestens zwei weitere Generationen bleiben, was sowohl Betriebserweiterungen verhindere als auch weitere Auflagen zur Folge haben könnte, ist der Sägewerksbetreiber überzeugt. Das wiederum nehme Entwicklungsperspektive. Das Sägewerk wird vom Bregenzer Anwalt Ludwig Weh vertreten.
Er schreibt in seiner Beschwerde, dass durch die Gebäudeerhöhung der Schall stärker würde, wodurch dem Sägewerk als lärmverursachendem Betrieb neue Auflagen blühen könnten. Vor allem der Onkel sei schon durch viele Beschwerden aufgefallen. In der Beschwerde führt der Anwalt weiter aus, dass der Vater der Natters in einem anderen Ortsteil wohne, wo Möglichkeiten für einen Neubau bestünden. Weh konnte sich auf VN-Anfrage nicht zum Fall äußern, der Sägewerksbetreiber war nicht erreichbar.
Richard Natter kontert: Es sei doch zu begrüßen, dass bestehende Bausubstanz genutzt und verdichtet werde. Er schreibt in einer Stellungnahme: “Es ist nahezu grotesk, wenn solches Engagement, die begrenzte Ressource Bauland zu schonen, durch solche Forderungen zunichtegemacht wird.” Außerdem sei es irrelevant, wo der Vater wohne. Dasselbe gelte für die Beschwerden des Onkels. Die Natters haben sich bereits an den Landesvolksanwalt gewandt. Einen Termin für das Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht gibt es noch nicht.
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