Der Tod trennte zwei Liebende

Margarita De Rosso trauert um die Liebe ihres Lebens.
Bregenz. Sie ist noch gehandicapt. Margarita De Rosso (83) brach sich vor Kurzem einen Wirbel. Jetzt liegt sie im Bett und ruht. Der Pyjama, den sie anhat, trug ihr Mann Agostino, als er starb. Die Decke, mit der sie zugedeckt ist, wärmte ihren Ehemann in seinen letzten Stunden. Ihr Blick ruht auf der Urne, die auf der Kommode steht und in der die Asche ihres Mannes verwahrt ist. „Er ist noch da“, meint sie seine Präsenz zu fühlen. 44 Jahre und ein halbes. So lange gingen die beiden gemeinsam durchs Leben. Am 21. Juni trennte sie der Tod. Agostino litt an Lungenkrebs. „Als wir erfuhren, dass er Krebs hat, war mein erster Gedanke: ,Ich durfte mit meinem Mann die Liebe leben. Dafür bin ich dankbar.‘“ Nach der Diagnose blieben Agostino nur noch zwei Monate. Er wollte nicht sterben. Wegen ihr nicht. „Im Spital sagte er zu mir: ,Ich möchte für dich leben.‘“
„Chérie, atmest du noch?“
Als er am 21. Juni für immer ging, hielt sie seine Hand. „Chérie, atmest du noch“, fragte Margarita ihn. Sie bekam keine Antwort mehr. Als junge Frau wünschte sich Margarita einen Ehemann, der so war wie ihr Vater. So einen oder keinen, sagte sie sich. „Papa war ein herzensguter Mensch. Er betrieb einen Laden und hat den Witwen Mehl und Schmalz geschenkt.“ Seine Frau stand ihm in Herzenswärme um nichts nach. „Mama verköstigte zwei Fabrikarbeiterinnen mit.“ Am 10. Mai 1944 kamen ihre Eltern bei einem Bombenangriff der Alliierten ums Leben. Margarita wurde schwer verwundet. Mit sieben Jahren wurde die Burgenland-Kroatin zur Vollwaise. „Ich redete mit dem lieben Gott“, erzählt sie, was ihr damals half, weiterzuleben. Ihre ältere Schwester kümmerte sich darum, dass Margarita bis zur Matura ein Internat besuchen konnte. Nach der Schule ließ sie sich zur Lehrerin ausbilden. Ihren ersten Job trat sie in einer Volksschule in Bregenz an. „Als ich am Bahnhof ausstieg, dachte ich mir: Hier gefällt es mir.“
Aber Margarita, die auch in Amerika studiert hatte, blieb nur ein paar Jahre in Bregenz. Dann ging sie für drei Jahre als Entwicklungshelferin nach Afrika. „Ich verliebte mich in diesen Kontinent. Die Afrikaner haben unglaublich viel Herz.“ Als sie später in Brüssel afrikanische Pastoraltheologie studierte, lernte sie ihren zukünftigen Mann, einen Italiener, kennen. Er studierte ebenfalls Theologie. „Agostino wollte als Missionar nach Afrika. Und auch ich hatte Afrika noch im Herzen.“ 1975 heiratete das Paar, 1976 krönte Tochter Nathalie das Glück der beiden. Die Umstände zwangen das Paar aber, seine Afrika-Pläne aufzugeben. Stattdessen zog die Familie für drei Jahre nach Belgien, weil Agostino dort eine Anstellung als Religionsprofessor bekam. 1981 kehrten sie nach Österreich zurück. Hier waren beide bis zur Pensionierung als Lehrer tätig.
Die 83-Jährige quält sich aus dem Bett und macht eine Schublade auf. Sie zieht eine Mappe heraus. „Diesen 17 Seiten langen Liebesbrief hat mir Agostino zum 80. Geburtstag geschrieben“, sagt sie und jetzt kullern Tränen über ihre Wangen. Langsam realisiert die Witwe, dass ihr Gefährte nicht mehr da ist und sie jetzt alleine weiterleben muss. Auf Agostino konnte sie sich zu 100 Prozent verlassen. „Wenn eine Pfütze auf der Straße war, hat er mich weggezogen. Ich musste auf nichts aufpassen und konnte wie eine Blinde gehen. So hat er mich durchs Leben geführt.“ Auch als sie im Vorjahr an Brustkrebs erkrankte und so schwach war, dass sie nicht einmal alleine aufs WC kam, war er ihr Fels in der Brandung. „Agostino hat mich zur Chemo gebracht und hinaufgefüttert.“
In guten wie in schlechten Zeiten
Wie selbstverständlich hielten sie das Versprechen, dass sie sich einst am Traualtar gaben: sich die Treue zu halten alle Tage des Lebens, in guten wie in schlechten Zeiten. „Uns hat der Glaube zusammengehalten“, erzählt Margarita, warum sie Klippen in der Ehe immer gut umschiffen konnten. Aber das lag wohl auch in der Persönlichkeit von Agostino begründet. „Mein Mann war liebevoll und nie grob. Wenn wir laut wurden, ging einer von uns weg. Wir kamen erst zurück, wenn wir uns beruhigt hatten.“ Die Witwe stockt. Ihre Stimme bricht weg. Aber sie möchte noch etwas anbringen: „Agostino war genauso wie mein Vater: gütig und hilfsbereit“, sagt sie, nachdem sie sich wieder gefangen hat.

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