Harald Walser

Kommentar

Harald Walser

Recht auf Widerstand

Vorarlberg / 29.09.2019 • 19:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Das Volk hat gestern gewählt. War´s das wieder mit der Demokratie für fünf Jahre? Mitnichten! Wahlberechtigte, Justiz und Jugend sind auch weiterhin gefordert. Nicht nur in Österreich.

In Frankreich haben zwei Aktivisten einer Umweltorganisation im Rathaus von Lyon ein Porträt des Präsidenten Emmanuel Macron entwendet. Sie wurden vor Gericht gestellt – und freigesprochen! Nicht etwa wegen Geringfügigkeit, nein: Der Richter billigte den geständigen Tätern den „Tatbestand der Notwendigkeit“ zu. Die Klimakrise bedrohe die Zukunft der Menschheit so massiv, dass wir alle zu „kritischer Wachsamkeit“ verpflichtet seien.

Notwehrrecht

Die „Diebe“ wollten darauf hinweisen, dass ihr Präsident zwar große klimapolitische Reden schwingt, aber kaum Maßnahmen setzt. Das Abhängen der Fotos sei dazu angetan, eine intensive Diskussion zu führen. Inzwischen verschwinden in Frankreich übrigens immer mehr Präsidentenporträts.

Auch die 16-jährige schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg und Tausende von Schülerinnen und Schülern, die es ihr gleichtun, brechen das Gesetz, wenn sie am Freitag nicht zur Schule gehen. Thunberg schrieb dazu: „Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern.“ Es gibt also ein Recht auf Widerstand.

Aber wo sind die Grenzen des Rechts auf Widerstand angesiedelt? Mit der Parole „Wir sind das Volk“ hat in der ehemaligen DDR der legitime Widerstand gegen einen bürokratischen Überwachungsstaat begonnen. Ein Vierteljahrhundert später skandierte die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung nicht nur „Ausländer raus!“, sondern übernahm auch die Parole „Wir sind das Volk!“. Damit suggerierte sie, auch die Bundesrepublik sei ein Unrechtsstaat, Widerstand daher Pflicht.

Das ist natürlich Unsinn. In der ehemaligen DDR verschleierten die Machthaber ihre Herrschaft, indem sie sich als Vertretung des „Volks“ ausgaben mit einem Parlament („Volkskammer“) und einer Exekutive („Volkspolizei“) im Dienst der Menschen. Die Parole „Wir sind das Volk“ war die richtige Antwort darauf.

In einer Demokratie hingegen sollte klar sein, dass es „das Volk“ als konforme Masse nicht gibt. Jeder kann seine Meinung frei äußern. Der Begriff „Partei“ stammt bekanntlich aus dem Lateinischen und bedeutet „Teil“. In der „Volksvertretung“ gibt es daher verschiedene Parteien.

Wenn Volksvertretung und Regierung aber elementare Maßnahmen nicht setzen, dann ist Widerstand legitim. Dann müssen „die Regeln geändert werden“, wie es Greta Thunberg ausdrückte. Das hat auch der französische Richter auf den Punkt gebracht.

Die beiden von ihm nicht verurteilten Umweltaktivisten versprachen übrigens, die Porträts wieder aufzuhängen, wenn der Präsident seine Politik ändere. Dann hätten wir ja auch dieses Problem gelöst.

„Wenn Volksvertretung und Regierung aber elementare Maßnahmen nicht setzen, dann ist Widerstand legitim.“

Harald Walser

harald.walser@vn.at

Harald Walser ist Historiker, ­ehemaliger Abgeordneter zum ­Nationalrat und AHS-Direktor.

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