18 Monate in der Gewalt des IS

Father Tom wurde im März 2016 vom Islamischen Staat gefangen genommen.
Lustenau Father Tom Uzhunnalil schaut für seine 61 Jahre blendend aus. Gepflegter Scheitel, faltenfreies Gesicht, die Figur eines topfitten Seniorensportlers. Dabei hat der aus Indien stammende Missionspriester etwas hinter sich, was nacktes Grauen auslöst. Er war 18 Monate Gefangener des Islamischen Staates. Dass ihn die Terroristen letztlich frei ließen, sieht er als Gottes Willen.
Der Tag des Überfalls
4. März 2016. Father Tom befindet sich in Aden, Jemen. Er ist dort als Seelsorger in einem Heim der Missionarinnen der Nächstenliebe, die von Mutter Teresa gegründet wurden, tätig. „Auf einmal drangen vier bewaffnete Männer in unser Anwesen ein. Sie haben sofort den Gärtner erschossen und daraufhin vier Ordensschwestern hingerichtet. Ich musste das alles mit ansehen. Mich hielten sie zuerst in Schach und führten mich dann weg. Ich dachte, dass sie jetzt auch mich erschießen.“ Doch ihn ließen die Terroristen, die in der als Altersheim genutzten Einrichtung noch weitere elf Menschen töteten, am Leben.
„Sie fragten mich, ob ich Moslem sei. Ich sagte nein, ich bin Christ.“ Was bei solchen Antworten gewöhnlich das Todesurteil bedeutet, markierte für Father Tom „nur“ den Beginn einer 18 Monate langen Gefangenschaft.
Die Islamisten verbanden dem Priester die Augen und brachten ihn weg. „In meiner Zeit als Gefangener war ich an insgesamt sechs verschiedenen Plätzen.“ Erinnern kann er sich optisch an keinen, weil ihm fast die ganze Zeit die Augen verbunden waren. Father Tom erlebte eine Zeit völliger Isolation, wurde aber nicht misshandelt. „Sie haben mich nicht angerührt. Ich bekam genug zu essen und überlebte, obwohl ich Diabetiker bin und als solcher ohne Medikamente in ständiger Gefahr war.“
Dass er ohne Medikamente diese Zeit lebend überstand, führt er ebenso auf göttlichen Willen zurück wie die Tatsache, dass die Terroristen ausgerechnet sein Leben verschonten.
Gebete
Der Alltag als IS-Geisel hätte wohl viele andere in den Wahnsinn getrieben. Nicht so Father Tom. Obwohl sie ihm praktisch immer die Augen verbanden und ihn lange Zeit auch fixierten, schwanden sein Geist und seine Hoffnung nicht. „Ich habe gebetet und gebetet: Rosenkränze und Angelusgebete. Immer wieder. Außer am Tag des Überfalls hatte ich auch keine Todesangst.“ Trotzdem hat er die Bilder noch vor sich, wie die Islamisten vor seinen Augen Menschen töteten. „Da war so viel Blut. Vor allem der Gärtner, der keine Oberbekleidung trug, blutete sehr stark.“
Während der Gefangenschaft registrierte der Priester sogar Zeichen von Menschlichkeit bei den IS-Schergen. „Es gab es zum Beispiel einen, der hat mir gelegentlich Schokolade und Orangen gebracht.“ Ein anderer habe ihn sofort immer auf die Toilette gelassen, wenn er musste. „Da gab’s solche, die ließen mich warten.“ Verstehen konnte er seine Bewacher nicht. Sie sprachen Arabisch.
Sechs Mal musste Father Tom für ein von den IS-Schergen gefilmtes Video diktierte Sätze sprechen. Irgendwann kamen Männer aus dem Oman. „Ich wurde in ein Auto verfrachtet und weggefahren.“ Man brachte Father Tom in den Oman und in die Freiheit.
Geblieben seien ihm von der Gefangenschaft weder Albträume noch schlaflose Nächte. „Ich bete für die getöteten Menschen auf der Missionsstation ebenso wie für die Mörder und jene, die mich gefangen hielten. Ich glaube heute mehr denn je an einen lebendigen Gott, an das Vergeben als stärkste Medizin gegen Hass. Ich bin auch nicht gegen Muslime eingestellt. Es gibt sehr viele gute, das habe ich gerade in schwierigen Zeiten immer wieder erleben dürfen.‘“
„Einer der Terroristen hat hat mir gelegentlich Schokolade und Orangen gegeben.“

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