Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Grüner Tanz auf dem Vulkan

Vorarlberg / 25.10.2019 • 07:59 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Regierungsbildung hin, Regierungsbildung her, bisher haben sich die Grünen nicht verbogen. Im Gegenteil, sie haben die ehemalige Rektorin der Akademie der bildenden Künste, Eva Blimlinger, für das Amt der 3. Nationalratspräsidentin vorgeschlagen; das sollte ein Signal gegen den rechten Kandidaten Norbert Hofer (FPÖ) sein. Außerdem haben sie die profilierte Sigrid Maurer zu ihrer wichtigsten Frau auf parlamentarischer Ebene gekürt; die Linke ist nun stellvertretende Fraktionschefin.

„Und überhaupt: So selbstbewusst sich die Grünen geben, so geschwächt gehen sie in die Koalitionsgespräche.“

ÖVP-Obmann Sebastian Kurz kann das ärgern oder freuen. Je nachdem, was er insgeheim anstrebt: Handelt es sich um eine Koalition mit den Grünen, ist es noch schwieriger geworden für ihn, als es ohnehin schon war; und zwar aufgrund des einen Drittels seiner Wählerschaft, das er 2017 und 2019 von Freiheitlichen, BZÖ und Team Stronach gewonnen hat und das nicht gerade linksorientiert ist. Strebt Kurz dagegen eine Fortsetzung der türkis-blauen Koalition an, darf er den Grünen „danke“ sagen; mit Maurer und Blimlinger helfen sie ihm, irgendwann festzustellen, dass er mit ihnen „leider“ keine ordentliche Mitte-Rechts-Politik betreiben könne.

„Kurz muss weg“-Rufe

All das verdeutlicht, wie kompliziert das mit Türkis-Grün ist: Zwei Wahlsieger, die einander nichts schenken, sondern Kante zeigen, als stünden sie noch immer im Wahlkampf. Auch Kurz hat diese Woche bekräftigt, dass er keinen Grund sehe, sein Team oder seinen Kurs zu ändern. Wozu also die ganze Sondierungs- und Koalitionsverhandlungs-Show? Weil die Sache auch für die Grünen nicht so einfach ist: Sie sind gegen eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen. Also müssen sie sich glaubhaft für eine Alternative anbieten – auch wenn das auf eine Koalition mit Sebastian Kurz hinauslaufen könnte, gegen den nicht wenige von ihnen quasi erst gestern skandierten, dass er weg müsse.

Schon allein das hat das Potenzial für die erste Krise der grünen Neuzeit. Doch dem nicht genug: Mit Werner Kogler an der Spitze sind sie so erfolgreich geworden, weil er ein paar Dinge sehr leidenschaftlich vertreten hat. Von Klimaschutzmaßnahmen inkl. Spritpreiserhöhung über eine menschenrechtsorientierte Asyl- und Fremdenpolitik bis hin zu einer (durchaus auch christlichen) Sozialpolitik inkl. Rücknahme der Mindestsicherungskürzungen. Damit hat er Erwartungen geweckt, die er mit der neuen ÖVP kaum erfüllen kann.

Nachteil gegenüber der ÖVP

Und überhaupt: So selbstbewusst sich die Grünen geben, so geschwächt gehen sie in die Koalitionsgespräche. Sie haben noch nicht einmal eine Parteiorganisation mit Experten aufbauen können, die über tiefergehende Kenntnisse in allen möglichen Bereichen verfügen.
Da sind sie gegenüber der ÖVP schwer im Nachteil: Kurz hat diese Leute in den eigenen Reihen oder zu hunderten in Ämtern, Ministerien und Kammern sitzen. Er muss sie nur anrufen.

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.

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