Glaube und Zweifel

Wolfgang Olschbaur, Schwarzach, evangelischer Pfarrer i. R.
Der Waldbauernbub Peter Rosegger hat als reifer Mann und bekannter Dichter einmal gesagt: „Der Glaube versetzt Berge, der Zweifel erklettert sie.“ Ein ähnlicher Satz, der Glauben und Nichtglauben in Beziehung bringt, steht im Markusevangelium: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9,24). Vielleicht sind Glaube und Zweifel nicht einfach Gegensätze?
Den Bibelspruch hat eine ökumenische Arbeitsgemeinschaft zur Jahreslosung für 2020 erklärt und gefunden, dass diese wenigen Worte gut in die heutige Zeit zwischen Glaubensleere und überschäumender Religiosität passen. Die Jahreslosung soll denen, für die die Bibel wichtig ist, zum Leitwort durchs Jahr werden und eine Hilfe dazu sein, darüber nachzudenken, wie es um ihren Glauben steht.
Ein starker Satz
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“. Das klingt wie eine fordernde Bitte, wie ein Stoßgebet. Aber es ist in erster Linie ein Aufschrei! Er kommt aus dem Mund eines verzweifelten Vaters, der um seinen kleinen Sohn kämpft. Der ist schwer krank. Tag für Tag bricht er zusammen und wälzt sich am Boden. Der Vater steht sprachlos daneben und muss ansehen, wie sein geliebter Sohn außer Kontrolle gerät. Er sei von einem „sprachlosen Geist“ besessen, so erzählt es der Evangelist Markus. Vielleicht leidet er an Epilepsie.
Tag für Tag ein Bangen um das Leben des Kindes, die Sorge, was als nächstes passiert. So eine Krankheit macht einsam. Der Bub lebt in seiner eigenen Welt, zu der niemand einen Zugang hat. Nie ist er wie andere Kinder. Nie können sie leben wie andere. Immer Rücksicht nehmen! Immer wieder die Blicke der andern ertragen müssen, immer wieder erklären müssen. Das macht einsam.
Der Vater, der die Zerstörung seines Kindes schon über viele Jahre kennt, ist entkräftet. Und als die Jünger aus dem engsten Umfeld des Jesus von Nazareth sich als völlig überfordert erweisen, scheint das Schicksal von Vater und Sohn besiegelt zu sein. Als endlich Jesus erscheint, nimmt der Vater noch einmal alle Kraft zusammen und ruft ihm in verzweifelter Hoffnung zu: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“. Wie bei einem großen Stoßseufzer presst er diese Worte aus sich heraus: Ich glaube, aber da ist der Unglaube, ich habe noch Vertrauen, aber es ist beschädigt, meine Hoffnung, sie ist angeschlagen. – Er lässt von Gott nicht ab und schreit doch alles Leid, alle Wut und allen Schmerz hinaus.
Eine große Herausforderung
Zweifel ist nicht unbedingt der Gegenspieler des Glaubens. Aber er hat eine wunderbare Stärke. Er will sich nicht abfinden und ducken. Der Zweifel will es genau wissen, er sieht in die Tiefe und rebelliert gegen das, was einen Menschen zerreißen kann, er nimmt seine bohrenden Fragen ernst. Zweifel fordert den Glauben heraus, nach tieferen Wahrheiten zu suchen und sich nicht mit Allgemeinplätzen abzufinden. So mahnt Erich Fried: „Zweifle nicht an dem, der dir sagt, er hat Angst. Aber habe Angst vor dem, der dir sagt, er kenne keinen Zweifel.“
Dietrich Bonhoeffer – er war Widerstandskämpfer gegen das Hitlerregime und wurde vor 75 Jahren nach einem Schnellverfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet – hat sich in seiner Haft im Gestapo-Gefängnis in Berlin mit der Warum-Frage beschäftigt und hat über die Rätselhaftigkeit des Daseins nachgedacht und wie ist es, ein Häftling zu sein, abgeschnitten von der Familie, mit einer ungewissen Zukunft – und dabei den Glauben nicht zu verlieren? Selbst angefochten will er noch stark sein für andere und widmet ihnen seine Briefe. Er bleibt nicht in der Warum-Frage stecken, er lebt seine Zweifel und seinen Unglauben aus, getragen vom Glauben an Gott. Wohl wissend um sein Schicksal schreibt er noch Ende 1944 aus der Zelle an seine Verlobte und seine Eltern die Worte: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr … Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

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