Claudia Fessler: „Barrieren sind in den Köpfen“

Claudia Fessler geht es darum, dass jeder sein Leben selbst in die Hand nimmt.
LAUTERACH, HÖCHST Diese Frau macht Mut. Claudia Fessler ist umtriebig, klug und mit beachtlichem Durchsetzungsvermögen ausgerüstet. Ihre Behinderung aufgrund einer Spastik hindert sie nicht daran, selbstständig zu leben und ein eigenes Unternehmen aufzubauen.
Ein sonniger Winternachmittag. Claudia Fessler sitzt im Rollstuhl an einem Tisch in ihrem Büro in Höchst, „in der Gärtnerstraße 14 oder 15“, hat sie am Telefon angegeben und zugefügt: „Ist eh beschildert.“ Der Raum ist karg eingerichtet und lichtdurchflutet. Claudia telefoniert. Sie muss noch etwas erledigen, dann ist sie bereit, Einblick in ihr Leben zu geben.
Die 33-Jährige ist seit ihrer Geburt am 26. Dezember 1986 behindert. Aufgewachsen mit einem älteren Bruder in Lauterach, behält sie eine schöne Kindheit in Erinnerung, sagt sie. In der Volksschule war sie das erste Integrationskind. Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte Claudia eine Ausbildung zur Bürokauffrau.
Stolpersteine
„Die Jobsuche war allerdings schwierig, es gab Stolpersteine“, sagt sie, ohne näher darauf einzugehen. Für sie sei indes immer klar gewesen, „dass der soziale Bereich meine berufliche Welt ist. Es geht mir darum, dass jeder sein Leben selbst in die Hand nimmt, wie ich es getan habe.“ So hat sie zuerst einmal in einen sozialen Verein hineingeschnuppert und sich dann selbstständig gemacht. Am 1. April 2013 gründete sie ihr Unternehmen Pluspunkt. „Das war kein Aprilscherz“, stellt sie klar und lacht.
Pluspunkt führt sie mit einem Geschäftspartner. „Wir vertreiben Schokolade, vertreten eine Kosmetiklinie, sind im Schulungsbereich tätig“, zählt Claudia Fessler auf. Zu Letzterem zählen Führungen durchs Landhaus in Bregenz. In Claudias Leben muss dauernd etwas passieren. Stillstand erträgt sie nicht. „Ich will etwas bewegen“, sagt sie. Kürzlich hatte sie eine neue Idee, mit der sie mehr Menschen mit und ohne Behinderung in ihr Firmenboot holen möchte. An der Umsetzung wird jetzt intensiv gearbeitet.
Ihr Durchsetzungsvermögen verdanke sie übrigens ihrer Mutter: „Sie hatte die positive Kraft und Sturheit, mich zur Selbstständigkeit zu erziehen. Durch sie bin ich so geworden wie ich heute bin.“ Was Sturheit betrifft, soll Claudia davon – ihrem Vater zufolge – eine „gesunde Portion“ mitbekommen haben.
Die 33-Jährige lebt allein in einer Wohnung in Lauterach. Unterstützung beim täglichen Bedarf im Alltag organisiert sie sich mit persönlichen Assistentinnen. Für ihre Freizeitaktivitäten hat sie indes noch keine Begleitung gefunden. „Ich gehe gern in die Sauna und ins Fitnessstudio. Beides ist allerdings zurzeit nicht möglich, weil ich das allein nicht tun kann“, erklärt Claudia. Sie braucht jemanden, der Kraft hat, denn ohne Hilfe kommt sie nicht vom Rollstuhl in die Saunakabine oder auf Fitnessgeräte.
Respekt
Zeit verbringt Claudia sehr gern bei ihrer Freundin Silvana, die das Gasthaus Bahnhof in Lauterach betreibt. Denn: „Bei Silvana gibt es keine Barrieren.“ Anfangs gab es schon eine, räumt Claudia ein. Und das war so: Claudia entdeckte das Lokal, das sich in der Nähe von ihrer Wohnung befindet, in einem Sommer. Sie konnte mühelos mit dem Rollstuhl in den Gastgarten fahren und dort ihr Lieblingsschnitzel verzehren. „Dann kam der Winter. Und ich fragte Silvana und ihren Mann Peter, ob ich im Winter verhungern muss“, schildert Claudia mit todernster Miene. „Peter sagte, er finde eine Lösung, und er fand eine.“ Er kaufte zwei Schienen, die er als mobile Rampe auf der Stiege befestigt, sobald Claudia im Rollstuhl heranfährt. Sie ist seitdem dort Dauergast. „Silvana und Peter verdienen Respekt“, betont Claudia. „Sie haben keine Barrieren im Kopf.“
Hindernisse
Im Grunde gehe es nämlich gar nicht um Behinderung und um Rampen und Lifte, „sondern um das Bewusstsein, dass es an den Barrieren in den Köpfen der einzelnen Menschen liegt. Und diese Barrieren müssen abgebaut werden.“ Dass man nicht alle Hindernisse abschaffen kann, ist Claudia schon bewusst: „Natürlich gibt es Grenzen, und mit denen müssen wir leben. Ich, zum Beispiel, werde immer persönliche Assistenz brauchen, denn ich kann meine Schuhe nicht selber zubinden.“ Zusammengefasst legt Claudia Fessler besonderen Wert auf einen positiven Umgang mit Barrierefreiheit „und ein ehrliches und normales Miteinander“.
Zur Person
CLAUDIA FESSLER
Geboren 26. Dezember 1986
Wohnort Lauterach
Familie ledig
Beruf selbstständig mit Pluspunkt, www.pluspunkt.at, 06601144106